■ Normalzeit
: Intellektuelle Briefbomben

„Unseren Starmoderator Kuttner“ nannten die „Fritz!“-Redakteure anläßlich ihrer Umzugs- Tombola von der Nalepastraße nach Babelsberg den einst von der taz zu Rockradio B gegangenen Jungjournalisten Jürgen („Kutti“). Denn der ist seit einigen Wochen mit seinem „Talk- Radio“ auch im Fernsehen.

Dabei frug ich mich gleich: Muß man wirklich mit diesen kreuzbraven Brandenburg-Jugendlichen genauso rüde umspringen wie „drüben“ die „Night-Talker“ mit irgendwelchen durchgeknallten Kleinkaliber-Ku-Klux-Klan-Killern und sturzbesoffenen Vorstadtmadonna-Schlitzern? Es geht bei diesen TV-Telefon-Kurzgesprächen um das vordergründige Lösen von Kreuzworträtseln. Dabei erinnerte ich mich an die letzten zwei, die mich beschäftigt hatten: Das erste stand 1943 in einer mitteldeutschen Zeitung, und mit seiner Auflösung erhielt man alle Codewörter des Peenemünder V-Wunderwaffen-Geheimunternehmens. Das zweite stand ein Jahr später in einer englischen Zeitung und „befaßte“ sich mit den Namen der geheimen Vorbereitungen für die Landung der Alliierten in der Normandie („Omaha“ zum Beispiel).

Beide Kreuzworträtsel-Redakteure wurden von „ihren“ jeweiligen Geheimdiensten sofort verhaftet und verhört, es konnte jedoch kein Verrat aufgedeckt werden: Purer Zufall, würde man als Nichtgeheimdienstler heute sagen. Tatsächlich waren aber diese Kreuzwortverrätseler näher an den entscheidenden Fakten dran als ihre übrigen Politik-, Wirtschafts- und sonstigen Front- Redakteure, die nur Zensiertes aufbereiten durften, also ganz im Dienste ihrer jeweiligen Geheimdienste standen. Und das war es, was mich am ORB-TV-Kreuzworträtsel so störte: Sowohl Moderator Kuttner als auch seinen Sendermännern und seinen zumeist weiblichen Anrufern/Empfängern war das Rätsel samt Lösung scheißegal („Australisches Tier mit vier Buchstaben“/ „Nein, Koala hat fünf, du Dussel“).

Dabei hat der Krieg doch längst wieder begonnen, und es gilt erneut: Codewörter knacken! Aus jedem Kreuzworträtsel eine intellektuelle Briefbombe zaubern – was sonst? Abgesehen davon, ging es auch in Friedenszeiten immer nur darum, irgend was zu verrätseln (Tschechows Schwestern zum Beispiel). Und ganz davon abgesehen, birgt die australische Tierwelt schon seit langem keine Geheimnisse mehr, sieht man mal von den seltsamen Beutelgermanen (vier Buchstaben im Singular: Nazi) ab, die in den dreißiger Jahren plötzlich über die armen Deutschen herfielen und Furcht und Schrecken verbreiteten (Stichwort: Dresden! Sieben Buchstaben). Damals wurden immerhin die Grundlagen dafür gelegt, was spätestens heute jeder Konsumolze in einem basisdemokratisch angerichteten Euro-Salat beherzigen sollte: Lerne klagen, ohne zu leiden! Kuttners Kampfgenosse beim ORB, André Meier, möchte jedoch auch daraus keine verrätselten Funken schlagen, wie er mir am Mittwoch-Stammtisch der Volxkorrespondenten in Dimitris Kreuzberger Markthallenschänke verriet, wo von der versammelten Journaille ansonsten drei Wünsche gefaßt wurden: 1. Mach mit! Weg mit Landowski! – Unser Dorf soll schöner werden! 2. Sofortige Privatisierung des Stadtbades in der Oderberger Straße – von und durch Bewohner der Oderberger selbst! 3. Der nächste Volxkorrespondenten-Stammtisch findet Anfang Februar im Café Torpedokäfer in der Dunckerstraße statt: Möge eine gewisse Beeilung bei der Renovierung euch dort oben kommodieren (elf Buchstaben: nordd. veraltet, aber noch österr. für: in den Kram passen). Helmut Höge

Wird fortgesetzt