Streit um ai-Bericht über Tunesien

Die weiße Weste von Präsident Ben Ali bekommt Flecken / Das nordafrikanische Land gilt als Vorbild für afrikanische Menschenrechtspolitik / „Schönfärberei und bloße Rhetorik“  ■ Von Katrin Wienefeld

Berlin (taz) – Folter, Häftlingsmord und Vergewaltigungen – Tunesien gerät in Verruf. amnesty international (ai) klagt Nordafrikas Musterland der Menschenrechtsverletzungen an. Die tunesische Menschrechtsliga, eine der ältesten der arabischen Welt, sei aufgelöst worden. Die häßliche Schlagzeile warf Schatten auf die nach außen weiße Weste des Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali und seine Regierung, die stets bemüht ist um gesittete politische Verhältnisse und die Gunst der Touristen.

Die tunesische Regierung wies die Vorwürfe zurück. Es handele sich grundweg um „lügnerische Verallgemeinerungen“, heißt es in einer Erklärung des tunesischen Staatsekretariats für Information in Bonn. Die Realität in Tunesien, „einem offenen und toleranten Land“, sei vielmehr, daß „die Achtung der Menschenrechte auf einer freien, vernünftigen und unumkehrbaren politischen Entscheidung beruht“. Die Menschenrechtsliga existiere nach wie vor, sie plane sogar einen Kongreß im Februar.

Die tunesische Regierung kann es sich erlauben, derart unbeeindruckt zu reagieren. Blieben doch bislang alle Versuche von ai, auf Menschenrechtsverletzungen in Tunesien aufmerksam zu machen, ohne Folgen für Präsident Ben Ali und seine regierende Partei „Konstitutionelle Demokratische Sammlung“ (RCD). Tunesien gilt als Vorbild für afrikanische Menschenrechtspolitik.

Das ist, so der ai-Bericht, „Schönfärberei und bloße Rhetorik“. In dem kleinsten Staat Nordafrikas wies ai Tausende Fälle von willkürlichen Verhaftungen, illegaler Haft ohne Außenkontakte und Folter nach. Allein in der Zeit vom April 1991 bis Januar 1992 starben acht politische Häftlinge, vermutlich an den Folgen von Folter. Die Opfer sind überwiegend Mitglieder der verbotenen islamischen Bewegung „al Nahda“ (Wiedergeburt) oder der ebenfalls verbotenen Kommunistischen Partei. Das Justizministerium trifft, so der ai-Bericht, die Hauptschuld: Untersuchungen werden verzögert, Staatsanwälte sehen über offensichtliche Gesetzesübertretungen der Polizei hinweg.

Schon im Juni hatte ai die zunehmenden Folterungen und Mißhandlungen an tunesischen Frauen dokumentiert. Beschränkte sich die polizeiliche Willkür zu Beginn auf aktive Mitglieder verbotener Gruppierungen, reichen nun schon verwandtschaftliche Beziehungen zu politisch Verdächtigen. Unbeteiligte Ehefrauen oder Schwestern werden schikaniert, gefoltert und mit Vergewaltigungen bedroht. Eine Rechtsanwältin, die Islamisten verteidigt hatte, wurde allein aus diesem Grund mehrfach festgenommen und verhört. ai vermutet, daß so die Moral der Islamisten geschwächt werden soll. Mittlerweile genügt schon das Tragen der islamischen Kopfbedeckung, des hijab, damit Frauen von Tätigkeiten bei den Behörden ausgeschlossen werden können.

Präsident Ben Ali, der 1987 gegen den greisen Diktator Habib Bourghiba putschte, hält noch immer das Image des pro-westlichen, modernen und in religiösen Fragen toleranten Staatsmannes aufrecht. Er versprach dem Volk ein Ende der Diktatur, Einführung neuer Parteiengesetze und die Freiheit der Presse. Zum ersten Jahrestag seiner Machtübernahme ließ er 2.966 Häftlinge frei, darunter 88 politische Gefangene. So zerstreute er die Kritik an seinem eiskalten Putsch. Keine schwere Aufgabe für Ben Ali. Bourghiba hatte sich im Alter mehr und mehr darauf verlegt, Staatsgeld für Bankette und Feiern zu verprassen. Mit der Wirtschaft ging es bergab, die Gehälter wurden seit 1984 nicht mehr erhöht, im selben Jahr kam es zu den sogenannten „Brotunruhen“. Die offizielle Arbeitslosenzahl lag bei 14 Prozent, Brot wurde nicht länger subventioniert. Die neue Regierung hatte zudem mit der anwachsenden „Bewegung islamischer Tendenz“ zu kämpfen.

Die Regierung schaffte es, die Wirtschaft zu stabilisieren. Seit 1992 erzielt die Landwirtschaft steigende Gewinne, die Tourismus-Branche ist stabil. Doch Ben Ali hatte auch zugesagt, die bestehenden Verbote gegenüber islamistischen Bewegungen aufzuheben, diese Versprechungen jedoch nicht eingelöst. Die „al Nahda“- Bewegung ist bis heute verboten. Bei den ersten Parlamentswahlen 1988 gewann die Partei des Präsidenten, RCD, sämtliche 141 Mandate. Seine Gegner, wie die Oppositionspartei „Bewegung der Sozialdemokraten“ (MDS), konnten wegen des strikten Mehrheitswahlrechts nicht bestehen. Die Wahlen wurden trotz Protesten wegen Unregelmäßigkeiten und des Verdachtes auf Wahlbetrug nicht wiederholt.

Tunesien gilt als zukünftiger Handelspartner Israels. Rege werden diplomatische Kontakte gepflegt, wenn israelische Politiker bei ihren Besuchen des PLO- Hauptquartiers in Tunis im Lande weilen.

Im März wird die Regierung sich einem Test stellen müssen: Dann sind die Neuwahlen fällig, die Ben Ali angekündigt hat. Er will, so heißt es in einer Erklärung, sogar das bestehende Mehrheitswahlrecht ändern, damit auch Oppositions-Parteien im Parlament vertreten sein können – wenn er sie nicht vorher noch verbietet.