Mini-Sparpaket für die Ruhe an der Bundeswehrfront

■ Die Bundeswehr soll die 1,25 Milliarden möglichst unauffällig sparen – damit Kohl nicht im Wahljahr die Diskussion um die Zukunft der Bundeswehr öffentlich führen muß

Dem Bundesminister der Verteidigung kommen die Klagen mittlerweile so routiniert über die Lippen wie seinen Vorgängern die Phrasen über die Friedensstreitmacht des Landes. Die Schmerzgrenze für die Bundeswehr, so verkündete Volker Rühe am Montag abend wieder einmal, sei überschritten. Tatsächlich führt sein beharrliches Jammern ja auch zu kurzfristigen Erfolgen. Statt 2,5 Milliarden, die Waigel dem ungeliebten Hanseaten ursprünglich abnehmen wollte, sind es nun nicht einmal die Hälfte. 1,25 Milliarden Mark müssen im Etat der Bundeswehr für 1994 zusätzlich eingespart werden, 500 Millionen Mark hatte Rühe freiwillig angeboten. Mit den nun 47,5 Milliarden Mark soll Rühe, so wurde ihm angeblich jetzt zugesichert, auch in den kommenden Jahren rechnen können. Die mittelfristige Finanzplanung sei für den Wehrminister damit gesichert – eine Zusage, die vor allem in der Rüstungsindustrie für Erleichterung sorgen dürfte.

Der Teilsieg Rühes hängt vermutlich vor allem mit dem Wahljahr zusammen. Nachdem im Dezember letzten Jahres durchgesickert war, daß Finanzminister Waigel aufgrund eines Sperrvermerks des Haushaltsausschusses des Bundestages bis zu 2,5 Milliarden bei der Bundeswehr abzwacken wollte, hatte Rühe zum großen Befreiungsschlag ausgeholt. Bei einer Pressekonferenz, zu der er die Sympathisanten unter den Bonner Journalisten in seinen Hamburger Wahlkreis einfliegen ließ, drohte Rühe mit unpopulären Maßnahmen mitten im Wahlkampf. Schlimmstenfalls müßten Bundeswehrstandorte ganz geschlossen werden, denn schließlich sei es nicht der „Hauptzweck der Bundeswehr, stationiert zu sein“. Nachdem der Spiegel dann noch kolportierte, die Standorte ganz oben auf der schwarzen Liste lägen alle in Bayern, kam aus dem Kanzleramt bereits die Entwarnung. Ganz so schlimm würde es nicht werden. Rühe hat denn auch schnell wieder umgeschaltet und propagiert nun ein „sozialverträgliches Sparpaket“ für 1994.

Als erstes ließ er das Projekt „Verkleinerung der Bundeswehr“ wieder fallen. Offiziell ist keine Rede mehr davon, die Soll-Stärke der Bundeswehr von 370.000 auf 350.000 Mann zu verringern. Trotzdem könnte es sein, daß die Ist-Stärke der Truppe bei dieser Gesamtzahl landet, weil es natürlich Kosten spart, wenn weniger Rekruten einberufen werden. Eine Schwankung von 20.000 Mann, heißt es jetzt auf der Hardthöhe, sei auch bei den bestehenden Strukturen zu verkraften. Damit hoffen Rühe und Kohl nun, im Wahljahr eine Diskussion über die Zukunft der Wehrpflicht vermeiden zu können. Schon jetzt gibt es in allen Parteien zahlreiche Stimmen, die für die Umstellung auf eine Berufsarmee plädieren.

Doch Kohl will im Wahljahr Ruhe an der Bundeswehrfront. Deshalb muß Rühe nun möglichst unauffällig sparen. Das bedeutet, keine strukturellen Entscheidungen, sondern überall ein bißchen strecken. Statt Standorte zu schließen, werden Ost-Kasernen erst später saniert, Neubauten zurückgestellt und Waffenkäufe auf 1995 verschoben. Damit hat die Bundesregierung sich erneut davor gedrückt, die Diskussion über die Zukunft der Bundeswehr öffentlich zu führen. Tatsächlich haben die Konservativen die Bundeswehr in den letzten zehn Jahren in einem Maße heruntergefahren, wie es sich die SPD an der Regierung wahrscheinlich nie getraut hätte. Zwei Zahlen machen das ganz deutlich: Die jetzt veranschlagten 47,5 Milliarden liegen knapp unter dem Bundeswehretat von vor zehn Jahren. 1984 machten die damaligen 47,7 Milliarden der Bundeswehr allerdings noch knapp 20 Prozent des gesamten Haushalts aus, jetzt entspricht dieselbe Summe nur noch zehn Prozent des Gesamthaushalts. Wenn man berücksichtigt, daß in diesem Zeitraum noch die Zusammenlegung von Bundeswehr und Nationaler Volksarmee erfolgte, die zusammen mal über 600.000 Soldaten zählten, wird klar, wie radikal unter Kohls Vorsitz bei Wehr und Waffen gespart wurde. Allerdings, wie die Opposition zu Recht immer mal wieder anmerkt, ohne Konzept. Bleibt die Bundeswehr bei ihrem eigentlichen Auftrag der Landesverteidigung, kann niemand begründen, warum sie dafür 370.000 Soldaten benötigt. Die Veränderung der Lage in Europa läßt da eine noch sehr viel kleinere Truppe durchaus denkbar erscheinen. Soll die Bundeswehr dagegen zukünftig vor allem „out of area“, in internationalen Verbänden der Uno oder der Nato, eingesetzt werden, entspräche es der militärischen Logik, tatsächlich eine Berufsarmee einzuführen. Rekruten könnten immer mal wieder Zweifel daran äußern, warum sie die Bundesrepublik ausgerechnet im Wüstensand oder im Kaukasus verteidigen sollten – dafür eignen sich Legionäre viel besser. Jürgen Gottschlich