Strecken und Schieben lautet die Order

Der Oberbefehlshaber der Finanzen hat seine Kabinettskameraden von der Notwendigkeit neuer Sparoffensiven überzeugt. Am schmerzlichsten trifft es die Truppe: Das Verteidigungsressort hat künftig nur noch 47,5 Milliarden Mark zur Verfügung.

Irmgard Schwaetzer ging mit gutem Beispiel voran. Während ihre Ministerkollegen noch zähneknirschend darüber grübelten, wo die Millionen gestrichen werden, die die jüngste Sparrunde der Koalition allen Ressorts aufgebrummt hat, bewies die liberale Bauministerin Sinn fürs Gemeinwohl. Gestern mittag wurde aus dem Hause Schwaetzer gemeldet: Der Palast der Republik im Ostteil Berlins wird ein Jahr später abgerissen – zusammen mit einigen anderen Bauverschiebungen entlastet das den Haushalt des Ministeriums um 50 Millionen Mark.

Die allerdings spart Schwaetzer nicht, sie greift Kollege Rühe unter die Arme: Das Geld soll für die Sanierung von Kasernen in den neuen Ländern verwandt werden. Denn die wären gefährdet gewesen, weil der Verteidigungsminister die schwersten Lasten tragen muß. 1,25 der insgesamt fünf Milliarden Mark, die Finanzminister Theo Waigel (CSU) aus dem Haushalt 1994 noch herausholen muß, sollen in der Hardthöhe gestrichen werden. Da hatte man sogar mit Schlimmerem gerechnet, als der Haushaltsausschuß Ende 1993 eine globale Minderausgabe von fünf Milliarden Mark über Waigels Zahlenwerk verhängt hatte. Mit 69,1 Milliarden Neuverschuldung weist der Etat eine beängstigende Rekordsumme aus, die auf diese Weise halbwegs unter Kontrolle gebracht werden soll.

Flächendeckend hat die Ministerrunde, die am Montag abend mit Waigel zusammensaß, die Sparsumme auf alle Ressorts verteilt. Mit 789 Millionen soll aus der allgemeinen Finanzverwaltung der zweitgrößte Brocken herausgeholt werden. Mit stattlichen 500 Millionen ist auch das Arbeitsministerium dabei, 400 Millionen davon soll die Bundesanstalt für Arbeit aufbringen. Weitere Leistungskürzungen, wurde allenthalben beteuert, seien aber nicht vorgesehen. Der Verkehrsminister zählt mit über 600 Millionen zu den Spitzensparern, und sogar das Forschungsministerium, das wegen der Innovationsschwäche der Wirtschaft eigentlich als sakrosankt gilt, muß bluten. Doch vorerst ist der Sparvorschlag, der gestern den Fraktionen der Regierungsparteien vorlag und heute den Haushaltsausschuß passieren muß, nicht mehr als eine Absichtserklärung: Waigel und seine Kollegen haben festgelegt, wer wieviel einsparen soll. Welche konkreten Haushaltstitel, welche Ausgaben und Projekte davon betroffen sind, blieb offen und steht nun im Benehmen des jeweiligen Ministeriums.

Doch der Haushalt 1994 steht auch dann noch auf wackligen Füßen, wenn die Ministerien den Rotstift beschlußgetreu anwenden. Nicht nur die SPD findet die neueste Sparrunde „völlig unzureichend“, wie ihr Wirtschaftsexperte Oskar Lafontaine gestern erklärte. Der Koalition fehle die Kraft für ein umfassendes Sanierungskonzept, mit dem der „besorgniserregende Anstieg der Staatsverschuldung“ gebremst werden könne. Mit den Sparbeschlüssen bleibe der Bundeshaushalt ein „finanzpolitischer Torso“.

Am Montag hatte SPD-Chef Scharping Waigels Haushalt gar „am Rande der Bilanzfälschung“ angesiedelt. Ein 15-Milliarden- Loch vermutet der Vorsitzende des Haushaltausschusses, Rudi Walther (SPD), in diesem Punkt einer Meinung mit Graf Lambsdorff (FDP). Der kühle Rechner hatte wie andere Spitzenleute der FDP einen Nachtragshaushalt von Waigel verlangt. Die Kompetenz der Regierung für Wirtschafts- und Finanzfragen sei „angeschlagen“. Keine neuen Steuern, keine weitere Verschuldung, dafür aber einen „enormen Sparwillen“ verlangte FDP-Chef Klaus Kinkel, der am Montag ebenfalls für einen Nachtragshaushalt plädiert und damit einmal mehr demonstriert hatte, daß der Einigkeit in der Regierung enge Grenzen gesetzt sind.

Strenge Koalitionstreue demonstrierte in gewohnter Weise FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms. Die jüngsten Einsparungen seien ausreichend, wenn die Wirtschaft ein leichtes Wachstum erreiche. Die Finanzpolitik der Bundesregierung sei solide; ein Haushaltskonsolidierungsgesetz (das Lambsdorff in regelmäßigen Abständen fordert) sei „aus jetziger und vorsichtiger Sicht“ nicht notwendig.

Einen „ehrlichen Nachtragshaushalt“ (Lafontaine) will die SPD sehen. Der müßte zu den fünf Milliarden mindestens weitere 2,5 Milliarden Mark zusammenstreichen. Die nämlich mußte Waigel aus seinem ursprünglichen Sparvolumen herausnehmen, als sich Bund und Länder im Dezember im Vermittlungsverfahren geeinigt hatten, einige der vorgesehenen Leistungskürzungen bei den Lohnersatzleistungen zurückzunehmen. Darüber hinaus bleiben Ungewißheiten: Die Konjunktur- und die Arbeitsmarktentwicklung, vermutet Rudi Walther, wird zu geringeren Steuereinnahmen und zu höheren Ausgaben der Nürnberger Bundesanstalt führen, als im Haushalt angesetzt. Der Verweis des Finanzministeriums, daß es dafür keine seriösen Prognosen gäbe, dürfte selbst Waigel nicht trösten. Denn zu optimistischen Prognosen besteht kein Anlaß. Walther befürchtet, daß die Neuverschuldung des Jahres 1994 am Ende bei 85 Milliarden Mark liegen könnte. Tissy Bruns, Bonn