Nicht denken, sondern singen

Dieter Thomas Heck, Victor Worms und Uwe Hübner: Die „ZDF-Hitparade“, eine Sendung für Deutsche, präsentiert den Schlager seit 25 Jahren als Wegwerfware  ■ Von Elmar Kraushaar

Früher, da saßen sie mittendrin im Publikum, die gefönten Stars und Sternchen, ganz nah beim Volk und aus dem Volk. Vorne vor stand der Boß, Dieter Thomas Heck, laut und schnell im Ton, und rief seine Jungs und Mädels auf wie ein Oberlehrer. Bis die sich von ihren Plätzen erhoben und ihre Lieder sangen wie ein Gedicht, das auswendig dahergesprochen wird, weil der da vorne es so will und eine Note rausrückt dafür.

So fing es an am 18. Januar 1969, und Heck führte vor, wie Kommerzfernsehen aussehen kann zu einem Zeitpunkt, als noch keiner an die Privaten dachte hierzulande. Wie ein Marktschreier stand der gelernte Autoverkäufer da und pries seine Ware an. Dafür wurde der Mann gehaßt, die Kritiker waren entsetzt. Und jene, die ihn lobten, knauserten auch nicht rum: „Dieter Thomas Heck ist der Rittmeister und Hit-ler des deutschen Schlagers.“

Mit Macht schmiß sich der selbstbewußte Rechte ins Zeug. „Wir machen eine Sendung für Deutsche“, dozierte er stolz und bestand wie kein zweiter auf dieser verdammten Nazi-Ideologie, daß Unterhaltung einzig dafür da sei, die Menschen den Alltag vergessen zu lassen und all das lästige Drumherum. Die Künstler, die da nicht spurten, bekamen von Heck eins auf den Deckel dafür. Als Vicky Leandros mit „Verlorenes Paradies“ dereinst für eine saubere Umwelt stritt, kanzelte er sie ab: „Man kann in drei Minuten kein Weltproblem behandeln und dann dafür auch noch abkassieren.“ Und als die Gruppe Geier Sturzflug von Pershing-2-Raketen sang und vom „Atompilz vor dem Kölner Dom“, schäumte Heck: „Da wird mir einfach schlecht.“ Schlagersänger haben nicht zu denken, sondern zu singen.

Doch irgendwann hatte der Mann den Anschluß verpaßt. Selbstverständlich ließ sich mit Schlager-Pershings und ein bißchen Frieden auch die goldene Mark machen. Der Patriarch im TV-Ring hatte ausgedient, Heck wurde zum Fossil und mußte abtreten. Das ist schon wieder zehn Jahre her, und heute, zum 25jährigen Jubiläum seiner Sendung, darf der Altmeister noch einmal zurück in das Studio der Berliner Union Film. Die Fotografen lassen ihn nicht aus dem Objektiv, und er mimt wieder den Platzhirschen. Die Künstler werden dirigiert und müssen für die Kamera antreten zum Klassenfoto. Die Kücken Nicki und Nicole in der ersten Reihe, dahinter die Vorwitzigen und Eitlen, dazwischen ein paar Schüchterne und Bescheidene, 25 Jahre deutsche Schlagergeschichte, und es glitzert und schwitzt und giggelt und hoppst. „Dschi Dschi, geh mal zur Seite“, brüllt es aus dem Off, „dein weißer Anzug knallt zu sehr rein.“ G.G. Anderson tritt ertappt vom Podest. Dafür darf Irene Sheer ihre hysterische Seite voll ausspielen. Schon als alle anderen das Studio längst verlassen haben, steht sie immer noch mittendrin mit einem albernen Bündel Hund auf dem Arm und gibt die Diva-Nummer für die Fotografen.

Derweil wuselt es in den Gängen vor den Künstlergarderoben, gelassen und hektisch zugleich, bis zur endgültigen Aufzeichnung der Jubiläumssendung in zwei Stunden. Heino, noch immer die beste Besetzung für seinen schlechten Ruf, drückt sich mit hochgeschlagenem Mantelkragen an den Wänden lang, während seine gestrenge Meisterin Hannelore im Presseraum Hof hält. Bernd Clüver brüstet sich mit einem Anarcho-A auf schwarzem Jackett. Peter Schilling flunkert den Journalisten vor, daß er nie weg war vom Fenster, und Peter Orloff platzt das Sonnenbank-Make-up aus den Stirnfalten. Die drei von Valerie's Garten halten sich mit Hackepeter-Schrippen dezent in ihrer Garderobe zurück, Mary Roos läßt derweil gutgelaunt die Reporter abblitzen.

Das ist die Schlager-Klasse, die große Familie, backstage gnadenlos auseinanderdividiert, jeder ist sich selbst der Nächste. „Ich suche nicht den Kontakt zu den Kollegen“, sagt Nicole, „ich bin nicht der Typ dafür.“ Sie ist eine der Beständigsten in dem Geschäft, seit über zehn Jahren verkauft sie ihre Platten ohne großen Einbruch, ganz souverän und ohne Probleme mit den Schubladen: „Ob sich das Schlager, Pop oder Rock nennt, ist mir egal. Ich mache Musik, die mir gefällt.“ Dabei hat sie die Hecksche Unterhaltungsideologie weit hinter sich gelassen: „Ich will mehr, nicht nur unterhalten. Ich will auch die Leute wachrütteln und sie zum Nachdenken anregen.“

So wie die Künstler mitunter die neue Situation begriffen haben und ihre Musik einordnen als ein Marktsegment unter anderen, ist auch Heck-Nachfolger Uwe Hübner von ganz anderem Schlag. „Neuzeit“ ist sein Stichwort, und „moderner Touch“. Vom Schlager, dem ganz traditionellen Schmus mit Schmerz, muß er nicht mehr reden. Der findet längst woanders statt, unter der falschen Flagge „Volksmusik“ in den unzähligen Sendungen dieser verlogensten aller Sparten. Hübner präsentiert – da ist er sicher – deutschsprachige Rock- und Pop-Musik, „ohne marktschreierisch zu sein“, und hat dafür eine Definition parat: „Da müssen Botschaften drin sein, ungewöhnliche Worte und die deutsche Sprache gut verarbeitet.“ Ein Schlager-Fuzzi ist er nicht, und wenn es dennoch einer behauptet, juckt ihn das wenig. Aber für seine Gäste, die Künstler, will der einstige Spielshow-Moderator da sein: „Ich will sie empfangen und ihnen zeigen, daß sie willkommen sind. Mitunter ist da meine Arbeit hinter der Bühne wichtiger als vor der Kamera.“

Die steht inzwischen wieder bereit, und die ZuschauerInnen sitzen im Studio auch schon auf ihren Plätzen. Die Aufzeichnung der Sendung beginnt, und das, was folgt, ist nur noch schlecht. Da werden 25 Jahre runtergerissen, uninspiriert und ganz und gar beliebig. Im Zeittakt von einer Minute und 45 Sekunden hetzen die vielen Künstler durchs Programm mit ihren alten Hits und müssen nichts weiter zeigen dabei, als daß sie sich gut konserviert haben, optisch wie vokal. Dazwischen werden ein paar Bilder eingespielt mit Modemätzchen drauf und einigen Takten dazu aus anderen Tagen.

Das ZDF läßt sich dieses Jubiläum wahrlich nichts kosten und denkt sich auch nichts dabei, ganz so, als ob der alte Heck noch immer die Fäden in der Hand hielte. „Schlager sind Wegwerfware“, hat er mal gesagt, da braucht es auch keine besondere Sorgfalt für derlei Müllentsorgung.

Die Jubiläumssendung „25 Jahre Hitparade im ZDF“ ist heute um 20.15 Uhr zu sehen.