Puck-Zunge: Blau

Wild at heart oder Shakespeare-Adaptionen für Kinder und Jugendliche im carrousel Theater  ■ Von Miriam Hoffmeyer

Als Hamlet von dem Komplott seines Onkels Claudius erfährt, sinnt er nicht auf blutige Rache. Er lungert bloß im Thronsaal herum, seinen Teddy fest in der Hand. Claudius geht das auf die Nerven: „Geh raus und spiel!“

Shakespeares Hamlet ist zu alt, um sich den Regeln seiner Gesellschaft zu entziehen, und zu jung, um sich mit ihnen eingerichtet zu haben. Für den kleinen Hamlet, Held des schwedischen Kinderstücks „Der kleine Prinz von Dänemark“ von Torsten Letser, gibt es kein Zweifeln und Zaudern bei der Auflehnung gegen die Erwachsenenwelt. Während er mit der kleinen Ophelia friedliche Spiele spielt, ziehen die Erwachsenen in den Krieg, treten einander mit schweren Stiefeln und schmieden Pläne, sich gegenseitig umzubringen. Vom Nabel bis zur Kehle habe er einen aufgeschlitzt, prahlt Hamlets Vater bei seiner Rückkehr vom Feldzug gegen Norwegen.

In Manuel Schöbels Inszenierung im „carrousel – Theater an der Parkaue“ laufen die Figuren in Militärmänteln über die Bühne, zwischen den grauen, abweisenden Mauern des Schlosses Helsingör und den Stacheldrahtrollen an der Bühnenrampe (Bühne: Ulrike Schlafmann). Diese Welt aus Stein und Eisen kann der kleine Hamlet nicht verändern, denn wenn er und Ophelia den König auch durch ein Marionettenspiel vor Claudius' Mordanschlag warnen können – das Todesurteil gegen die Schuldigen wird gnadenlos verhängt, Gewalt zeugt Gegengewalt.

Kinder sind in Letsers Hamlet- Adaption die besseren Menschen. Sie sind nicht nur gegen den Krieg, sondern sogar für ihre eigene progressive Erziehung – der kleine Prinz spielt lieber mit seinem Teddy, statt fechten zu lernen. Und sein Wunschtraum ist eine Welt, in der die Völker friedlich zusammenleben und die Könige abgesetzt sind: „Die Leute sollen lieber selbst bestimmen, wie ihr Staat verwaltet wird.“ Hamlet goes Sozialdemokratie. So gut gemeint (und gut gespielt) das ist, die Kinder der 90er Jahre wird es kaum erreichen. Die akrobatischen, aber unblutigen Schlägereien auf der Bühne entlocken den lieben Kleinen im Publikum bestenfalls anfeuernde Anrufe, und wenn Ophelia sich aus Verzweiflung an der Welt zu Tode stürzen will, ruft man ihr ermunternd zu: „Spring!“

Kinder kommen bei Shakespeare selten vor, Kindsköpfe dafür um so öfter. Der Schweizer Kindertheatermacher Beat Fäh hat die beiden jungen Heißsporne Lysander und Demetrius und ihre Mädchen aus dem „Sommernachtstraum“ herausgelöst. Von der Elfen- und Feenwelt ist nur Puck übriggeblieben, der in „Ein Sommernachtstraum – Rose und Regen, Schwert und Wunde“ die Liebesverstrickungen auf eigene Faust verknäuelt und entwirrt. In der Aufführung im carrousel Theater (Regie: Hella Müller) spielt Heidrun Bartholomäus den Waldgeist als wechselhaften, kichernden und brabbelnden, mal verkrüppelten und dann wieder überraschend behenden Kobold auf Rollschuhen. Besonders grotesk ist der brave Lehrerinnenkopf auf diesem Körper, mit Brille und modischem Kurzhaarschnitt, aber blauer Zunge.

Von Waldromantik ist hier nicht viel zu sehen. Am Anfang fliegt eine Handvoll Blechdosen auf die Bühne, die dann später Pucks Rollschuhfahrten behindern: „Scheiß Büchsen!“ Die vier Liebenden sind junge Wilde, die ihre Wut hinausschreien und -trommeln und mit Fäusten aufeinander losgehen. Besonders die Männer betonen lustvoll ihre Körperlichkeit, spreizen sich wie die Gockel, werfen sich in die Brust und knöpfen ungebeten ihre Hosen auf. Und auch Hermias und Helenas Zuneigung aus Schultagen kann so rein nicht gewesen sein, das zeigen ihre Umarmungen und ihr vielsagendes Schweigen.

Die Liebe, die die Zauberblume in die Herzen der Menschen träufelt, ist sichtbar und mit Händen greifbar, so wie der blutrote Blumensaft auf Lysanders Gesicht. Wer den anderen für sich gewinnen will, der zerrt und reißt an ihm, und das macht „Rose und Regen, Schwert und Wunde“ so leibhaftig und unmittelbar. „Amor ist von Bosheit voll, macht die armen Dinger toll“, triumphiert Puck boshaft. Er führt die Regie, und ab und zu fällt er aus der Rolle, um die Regie auch im Theater zu übernehmen: „Nebel!“ kommandiert er, oder: „Waldhörner! Wo bleibt der Ton?“

Beide Shakespeare-Adaptionen im carrousel sind solide und temporeich inszeniert, und doch kamen sie bei ihrem jugendlichen Publikum ganz unterschiedlich an. Schließlich enthält „Der kleine Prinz von Dänemark“ bloß pädagogischen Eros, und davon wahrlich nicht zuwenig. Die Figuren von „Rose und Regen, Schwert und Wunde“ aber sind wild at heart.

Nächste Vorstellungen: „Rose und Regen, Schwert und Wunde“ von Beat Fäh heute, 10 Uhr, „Der kleine Prinz von Dänemark“ von Torsten Letser, morgen 15 Uhr, carrousel – Theater an der Parkaue, Hans-Rodenberg-Platz 1, Lichtenberg.