Erste Schritte auf dem Weg zum Frieden?

Seit Jahrzehnten bekämpft Birmas Militär die aufständischen nationalen Minderheiten des südostasiatischen Landes. In jüngster Zeit haben immer mehr Gruppen einen Waffenstillstand mit der Junta vereinbart  ■ Aus Shan State in Birma Martin Smith

Gut dreißig Kilometer südlich von Myitkyina, der Hauptstadt des Staates der Kachin im Nordosten von Birma, endet die noch von den Briten gebaute Straße urplötzlich: von der großartigen Hängebrücke, die früher die schnellen Wasser des Dabak-Flusses überspannte, sind nur noch Ruinen vorhanden. Im Juni 1978 haben die Guerilleros der Kachin Independence Organisation (KIO) die Brücke zum endgültig letzten Mal gesprengt. Die Soldaten des Kachin-Volkes haben mehr als drei Jahrzehnte lang gegen die Zentralregierung in Rangun gekämpft, und die Überreste der Brücke markierten die symbolische Frontlinie dieses Krieges.

Heute aber hat das Kämpfen aufgehört. Zwar ist die Situation immer noch gespannt, aber das Barometer steht unzweifelhaft auf Veränderung. Formal ist der Waffenstillstand noch nicht unterzeichnet worden. Doch nachdem die KIO 1993 Gespräche mit der Militärjunta geführt hat, erwartet man jetzt, daß sie sich bald auf Friedensbedingungen mit der Regierung einigt – als elfte bewaffnete Organisation einer ethnischen Minderheit in Birma.

Begonnen hat der Friedensprozeß im Jahr 1989, nachdem sich die Kommunistische Partei Birmas (CPB) entlang ethnischer Zugehörigkeiten gespalten hatte. Die CPB war die größte aufständische Gruppierung des Landes.

Letzten Monat hat die Kachin- Organisation KIO ein Büro in Myitkyina eröffnet; lange getrennte Familien fanden wieder zusammen; und an den Straßen sind vorsichtig wieder Kontrollpunkte der Regierungstruppen eingerichtet worden. Generalmajor Saw Lwin, Chef des nördlichen Kommandos der birmesischen Armee, ist zuversichtlich: „Seit über drei Jahrzehnten hat es in dieser Gegend wegen des Aufstandes keine Entwicklung gegeben. Nichts konnte gebaut werden, weil die Straßen und Brücken gesprengt wurden. Nun haben wir eine neue Chance.“ Eine Firma hat sogar schon die Lizenz für eine Buslinie entlang der gefährlichen, 150 Kilometer langen Strecke nach Bhamo beantragt.

Auf den ersten Blick muß der Waffenstillstand mit der KIO – zweifellos eine der bestorganisierten Guerillaorganisationen – als Propagandaerfolg für die Junta erscheinen. Denn der „Staatsrat zur Wiederherstellung von Gesetz und Ordnung“ (SLORC) verfolgt nach Ansicht seiner Kritiker eine Politik des „Teile-und-Herrsche“. Ziel: Die bewaffneten Kräfte der ethnischen Minderheiten aus dem Bündnis mit Aktivisten aus den Städten herauslocken, die überwiegend ethnische Birmanen sind. Prominenteste Oppositionsverbindungen sind die aus Parlamentariern im Exil gebildete Gegenregierung, die hinter der Birmanin und Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi steht, und die Demokratische Allianz Birmas (DAB), welche sich aus 23 Gruppierungen zusammensetzt und kurz nach der Machtübernahme der Junta 1988 entstand.

Eine solche Interpretation läßt jedoch die sich schnell wandelnden Realitäten vor Ort außer acht. Von vornherein war die nach 1988 entstandene Zusammenarbeit oppositioneller birmanischer Intellektueller mit den bewaffneten ethnischen Minderheiten ein schwieriges Unterfangen. Jetzt, da eine neue Generation von Armeeführern mit dem Chef des militärischen Geheimdienstes, Generalleutnant Khin Nyunt, an der Spitze, gewillt ist, direkt mit den bewaffneten Minderheitengruppen zu sprechen, verliert die Demokratische Allianz rapide an Gewicht.

Die ethnischen Minderheiten machen rund ein Drittel der 43 Millionen Birmesen aus. Gegenwärtig laufen auch Verhandlungen mit den Mon, mit den Karenni und der Karen National Union – die noch kürzlich bilaterale Gespräche zwischen nationalen Minderheiten und der Junta abgelehnt und auf einer Einigung zwischen Zentrale und der gesamten Demokratischen Allianz bestanden hatte. Heute vollzieht sich in der Minderheitenpolitik Birmas ein Wandel, der grundsätzlicher ist als alles, was seit der ersten Machtübernahme der Armee im Jahr 1962 unter General Ne Win geschah.

Aung San Suu Kyi, die jetzt im fünften Jahr unter Hausarrest in Rangoon lebt, bleibt wichtiger Focus für eine Veränderung. Aber 46 Jahre nach der Unabhängigkeit Birmas ist offensichtlich, wie skeptisch die Angehörigen vieler ethnischer Minderheiten gegenüber birmanischen FührerInnen aller politischen Richtungen sind. „Wenn wir einen unabhängigen Staat wollten, dann wären die Leute weiterhin bereit zu Kämpfen,“ sagt ein langjähriger KIO-Kämpfer im privaten Gespräch. „Aber jetzt denken viele: Wenn beide Seiten bereit sind, zu verhandeln, warum sollten dann noch mehr Leute sterben müssen?“

Auf dem Lande ist die Sehnsucht nach Frieden mit Händen zu greifen. Regierungsbeamte geben unter vier Augen zu, daß die Schätzungen der ethnischen Minderheiten zutreffen mögen, wonach seit Beginn der Kämpfe 1948 mehr als eine Million Menschen umgekommen sind. Wer die beschwerlichen 230 Kilometer nach Süden durch den Shan-Staat fährt – und damit durch ein Territorium, das von unterschiedlichen bewaffneten Kräften ethnischer Shan, Kachin, Palaung, Wa und Kokan kontrolliert wird –, der sieht, daß es im birmesischen Bürgerkrieg keine Gewinner oder Verlierer gegeben hat, nur Opfer. Und die Politik der Regierung ist tatsächlich keineswegs eine Demonstration des Sieges. Sie birgt für die Junta ein beträchtliches politisches Risiko, für das sie auf internationales Verständnis hofft.

Die Aufgaben des nationalen Wiederaufbaus, die das Land vor sich hat, sind immens. Obwohl die Regierung die Städte fest unter Kontrolle hat, gibt es doch allerorten Hinweise auf den Krieg. Überall im Shan-Staat sind Zehntausende Dorfbewohner zwangsweise in die Nähe von Armeeposten umgesiedelt worden. Die Schlafmohnfelder in der Ferne erinnern ständig daran, daß das Opium in dieser verarmten Gegend für viele Farmer einzige Einkommensquelle ist. Die Regierung ist immer wieder für die Menschenrechtsverletzungen kritisiert worden. Gespräche mit Dorfbewohnern zeigen schnell, daß auch die anderen Grausamkeiten verübt haben. Flüchtlinge in einem Umsiedlungslager in der Nähe von Lashio konnten ohne Zögern die Namen von sechs Verwandten nennen, einschließlich eines christlichen Diakons, die kürzlich von Soldaten der 14.000 Mann starken Mong- Tai-Armee von Khun Sa ermordet worden waren. Khun Sa hat bislang noch nicht eingewilligt, mit der Regierung zu sprechen.

Ein friedlicher Übergang wird sehr schwer zu erreichen sein und kolossale Nervenstärke bei den Protagonisten aller Seiten fordern. Gegenwärtig gibt es über 40.000 Soldaten verschiedener ethnischer Gruppierungen allein in Nordostbirma. Jede Gruppierung geht unterschiedlich mit den alltäglichen Problemen der Finanzierung und Verwaltung ihrer „befreiten Gebiete“ um.

Die KIO hat sich geweigert, Gelder von der Regierung anzunehmen. Doch Gruppen wie die mächtige United Wa State Army haben Läden in den wichtigsten Städten eingerichtet und reisen offen in bewaffneten Lastwagen, die mit ihren Insignien gekennzeichnet sind.

Der Vorwurf des finanziellen Opportunismus geht um, mindestens drei Waffenstillstandsgruppen sollen ins Drogengeschäft verwickelt sein. Das hat dazu geführt, daß man der Militärjunta vorwirft, sie greife einfach auf das diskreditierte „Ka Kwe Ye“-Programm aus den frühen siebziger Jahren zurück. Damals gewährte die Regierung mehreren bewaffneten ethnischen Gruppen, die in den Opiumhandel involviert waren, das Recht, lokale Straßen zu kontrollieren – wenn sie dafür die Opposition nicht unterstützten.

Vorwürfe dieser Art demeniert Generalmajor Aye Kyaw, der Chef des nordöstlichen Kommandos in Lashio, kategorisch: „Das hängt von denen ab. Wir haben ihnen bereits die Freiheit gegeben zu sprechen. Ich bin nur ein Soldat. Deshalb müssen sie für sich selbst sprechen. Ich habe ihnen ihre Politik nicht vorzuschreiben.“

Nun würden die meisten internationalen Menschenrechtsgruppen bestreiten, daß sich die Junta der freien Rede verpflichtet fühlt. Aber im Moment ist die Preisfrage, die allen auf der Zunge liegt, wie die Waffenstillstandsvereinbarungen sich in einen politischen Prozeß umwandeln lassen. Es ist einigermaßen bemerkenswert, daß dieses die erste Runde landesweiter Friedensverhandlungen seit 1963/64 ist.

Viele Bürger bleiben skeptisch. Aber lokale Politiker haben – vielleicht nicht mehr als – Hoffnung, daß die Einstellung von Feindseligkeiten, daß der Belagerungszustand ein Ende nimmt, unter denen die schrecklichsten Menschenrechtsverletzungen, einschließlich summarischer Hinrichtungen und Folter, geschahen.

Dennoch wird es schwierig bleiben, nach so vielen Jahren des Blutvergießens eine gemeinsame politische Sprache zu finden. In dieser Woche hat der von der Junta handverlesene Nationalkonvent seine Arbeit in Rangoon wieder aufgenommen – ohne Teilnahme der KIO. Der Konvent soll die „Grundprinzipien“ für eine neue Verfassung erarbeiten.

Dabei versichern Vertreter der Junta, daß sich die Waffenstillstandsparteien – unter der Voraussetzung, daß es keine Gefahr für die Stabilität des Landes gibt – auch noch später an der Erarbeitung der Verfassung beteiligen könnten. Das ist etwas, was militanten Gruppen wie der Nationalunion der Karen – mit dramatischen Folgen – in den früheren Übergangsperioden von 1946 bis 48 und 1962 bis 74 verwehrt wurde.

Zynische Beobachter werden weiterhin an den Motiven der Generäle zweifeln. Aber realistischerweise scheint es kaum eine andere Option zu geben. Ein Weg des Kompromisses und Dialogs ist seit langem überfällig, wenn daß Land jemals aus seinem tragischen Kreislauf von ethnischem Konflikt und Militärherrschaft herausfinden will – und es gibt jetzt einige Gründe für Optimismus. Anders als die vorhergehenden Friedensverhandlungen ist der neue Realismus der Politiker auf beiden Seiten augenfällig. Die dogmatische Sprache der Vergangenheit und die bitteren Auseinandersetzungen über Begriffe wie „Föderalismus“ und „Kommunismus“ weicht Gesprächen über politische Prozesse, wirtschaftliche Entwicklung, internationale Investitionen und Gesundheitsprogramme.

Das ist nicht nur politischer Singsang. Mehr als eine Million Birmesen sind ins Ausland geflüchtet oder innerhalb des Landes vertrieben. Birma steht vor überwältigenden sozialen und wirtschaftlichen Problemen. Alle Seiten haben erkannt, daß es wenig Fortschritt geben kann, solange der ethnische Konflikt weitergeht. So verweisen Politiker sowohl der Opposition als auch der Regierung auf die zunehmende Opiumsucht und die alarmierende Verbreitung von Aids. In manchen Städten sollen mehr als 80 Prozent der Abhängigen, die sich Drogen spritzen, HIV-infiziert sein.

Den Schlüssel zur Lösung sehen die Führer der ethnischen Minderheiten nun in einer gleichberechtigten wirtschaftlichen Entwicklung und in der gesetzlich garantierten Achtung der Sprache und Kultur ihrer Völker. Der Geist des Friedens, der in den Gebieten der ethnischen Minderheiten entstanden ist, werde schließlich dazu führen, daß die festgefahrene politische Situation in Rangoon allmählich aufbricht. Die Geschichte hat gezeigt, fügen sie warnend hinzu, daß der Preis des Mißlingens hoch sein wird.

General Zau Mai, der langjährige Stabschef der KIO: „Was wir jetzt brauchen, ist, daß der Waffenstillstand sich über das ganze Land ausbreitet. Solange es Frieden gibt, glauben wir, daß die politischen Verhandlungen weitergehen können. Aber nach all diesen Jahren muß jede Seite sich klar darüber sein, daß der Weg zur Versöhnung lang sein wird.“