■ BKA fetzt Bundesanwaltschaft und vice versa
: Ankläger im kurzen Hemd

So könnte es gewesen sein: Die obersten Ankläger der Republik sitzen bei Kaffee, Kerzenschein und Weihnachtsgebäck zusammen. Friedlich soll es enden, das Jahr, das soviel Ungemach über die Karlsruher Bundesanwaltschaft (BAW) gebracht hatte. Solingen, Bad Kleinen, am Ende der unehrenhafte Abgang des überforderten Chefs und die nervende Hängepartie um seine Nachfolge. Mit dem Jahreswechsel sollte endlich Ruhe einkehren – und dann dies. Ausgerechnet von den Wiesbadener Widersachern, mit denen die Karlsruher von jeher eine innige Haßliebe verbindet, flattert zwischen den Jahren ein Papier auf den Tisch, das die Oberankläger – wieder einmal – im ganz kurzen Hemd dastehen läßt.

Die Asservaten-Auswertung des Bundeskriminalamts demontiert die Anklage gegen die RAF-Gefangene Eva Haule auf eine Weise, wie es die Bundesanwaltschaft wohl noch nie erlebt hat. Die BKA-Ermittler reiten ihre Attacke mitten im laufenden Prozeß. Ein unauffälliger Rückzug ist nicht mehr möglich. Karlsruhe wollte „lebenslänglich“ für Haule und hat daraus nie den geringsten Hehl gemacht. Die ungebändigte Wut des Karlsruher Sitzungsvertreters über Form und Inhalt des BKA-Querschusses, die sich am gestrigen Prozeßtag vor dem OLG Frankfurt entlud, ist also durchaus nachvollziehbar.

Die Bundesanwaltschaft hat in einer Phase, in der eine unblutige Beendigung des Privatkriegs der RAF gegen den Staat greifbar schien, darauf bestanden, Eva Haule und andere Langzeitinhaftierte aus der RAF erneut anzuklagen. Kritik an dieser politisch kontraproduktiven Vorgehensweise begegneten die Hardliner in Karlsruhe stets mit dem gleichen Argument: Leider, leider gebe es ein Gesetz, und dies schreibe die erneute Strafverfolgung zwingend vor. Die BKA-Auswertung demonstriert in dankenswerter Deutlichkeit, daß dies eine Schutzbehauptung ist. Hätte die Anklagebehörde nur gewollt, sie hätte die fraglichen Notizen Eva Haules auch so interpretieren können, wie es die Wiesbadener Auswerter nun vorgemacht haben. Der neue Prozeß wäre ausgefallen, und niemandem hätte etwas gefehlt.

Die Wahrscheinlichkeit, daß Eva Haule bei jenem zynisch-grausigen Anschlag auf den jungen GI und die US-Air-base im Jahr 1985 dabei war, ist ungeachtet der BKA-Auswertung groß – weil die RAF damals klein war. Doch die Notizen, die die Basis des laufenden Prozesses bilden, machen diese Wahrscheinlichkeit weder größer noch kleiner. Nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit wird in diesem Land – das müßte sich auch bis nach Karlsruhe herumgesprochen haben – glücklicherweise kein Recht gesprochen. Der Grundsatz lautet: In dubio pro reo. Gerd Rosenkranz