Intelligent sparen oder keine vierte Elbtunnelröhre bauen?

■ Ein Streitgespräch zwischen Hamburgs Schulsenatorin Rosemarie Raab und dem GEW-Landesvorsitzenden Hans-Peter de Lorent - über Arbeitszeitverlängerung für Lehrer und andere Spar...

Frau Raab, Sie haben vor Weihnachten erklärt, auch die Lehrerarbeitszeit könne künftig kein Tabu mehr sein. Wenn Sie Hamburger GEW-Chefin wären, wie würden Sie reagieren?

Rosemarie Raab: Ich würde das Know-how, das mir im Gewerkschaftsbereich bundesweit zur Verfügung stünde, nutzen, um mich über die wirtschaftliche Lage schlau zu machen, in der wir uns tatsächlich befinden. Und wenn ich etwa eine Vorstellung hätte von dem, was gar nicht verhinderbar ist, dann würde ich eigene Vorschläge machen, mir Bündnispartner suchen und versuchen, die Politik auf diese Vorschläge hin zu orientieren.

Herr de Lorent, möchten Sie eigene Sparvorschläge machen?

Hans-Peter de Lorent: Ich denke, das wäre der allerletzte Punkt, über den man reden kann. Das würde ja bedeuten, daß wir die ökonomische Lage ähnlich sehen und die Vorgaben akzeptieren. Mir ist durchaus bewußt, daß die Länderhaushalte angegriffen sind. Aber ich habe Zweifel, ob die Wirtschaftspolitik, die Standortpolitik in Hamburg beispielsweise, richtig ist. Es wäre notwendig zu diskutieren, ob in einer Situation, wo man von sozial Schwachen Zugeständnisse erwartet, wirklich Großprojekte wie die vierte Elbtunnelröhre mit Kosten von einer Milliarde Mark zu realisieren sind.

Was würden Sie als Schulsenator tun? Darauf beharren, daß die vierte Röhre nicht gebaut wird?

de Lorent: Ich kann mir nicht vorstellen, in der rotgrauen Regierung Senator zu sein. Wäre ich es doch, wäre es meine Aufgabe, im Senat für die Priorität Bildung zu werben. Ich würde mich scharf dagegen aussprechen, daß Henning Voscherau und Markus Wegner sich so verhalten, wie sie sich verhalten. Wenn nämlich über eine Steuerschätzung Daten bekannt werden, sich vor die Presse zu stellen und mal eben darüber zu reden, daß im Laptop gespeichert sei, was Lehrerarbeitszeiterhöhung und Klassenfrequenzvergrößerung bringen. Das ist Politik nach Gutsherrenart.

Raab: Sie haben bisher noch keine einzige Mark gespart. Mich stört die Unernsthaftigkeit, mit der Sie an das Thema herangehen. Es mag ja sein, daß das nicht rübergekommen ist: Wir haben 1,5 Milliarden Mark Defizit, und wir werden wohl ein noch größeres haben, weil die Steuerschätzungen offensichtlich immer noch zu günstig waren. Wenn Sie sich mal vorstellen, Ihnen fehlen konkret 2 Milliarden Mark, und zwar nicht nur in einem Jahr, sondern über einen längeren Zeitraum, weil wir die schwerste Rezession seit Beginn der Bundesrepublik haben. Und nun nehmen wir an, ein Viertel dieser Summe müßte bei den laufenden Ausgaben eingespart werden. Und jetzt nehmen Sie noch mal den Anteil des Schulbereichs an diesem Gesamthaushalt. Und jetzt sagen Sie bitte in allem Ernst, hier darf keine Mark gespart werden, weil Bonn die vierte Elbtunnelröhre finanziert. Wenn wir die vierte Elbtunnelröhre nicht bauen, löst das unser Haushaltsproblem nicht. Es wäre eine kleine Zahl von Stellen in der Baubehörde verzichtbar, das ist ein Bruchteil dessen, was wir in dieser Legislaturperiode an zusätzlichen Lehrerstellen brauchen.

Allein um die wachsenden Schülerzahlen auszugleichen, brauchen wir rund 600 Stellen. Dazu kommen - wenn wir all das, was wir begonnen haben: Integration, Ganztagsschulen, H-/R-Integration, durchfinanzieren wollen - noch mal 200 Stellen. Und wenn wir auch nur ein bißchen mehr machen wollen, dann sind wir schnell bei 1000 Stellen. 1000 Stellen kosten 60 Millionen. 60 Millionen mehr, das heißt: Zusätzlich zu einer Einsparnotwendigkeit bei den laufenden Ausgaben von einer halben Milliarde hätten wir alleine beim Faktor Lehrerbedarf noch mal einen Zuwachs von 50-60 Millionen.

Unterm Strich: Wir kommen überhaupt nicht darum herum, darüber nachzudenken, welche Maßnahmen wir im Schulbereich reduzieren. Da ist mein Plädoyer: kein Schlichtsparmodell, keine pauschalen Kürzungen, keine größeren Klassen. Denjenigen, die sich nicht im Bildungsbereich auskennen, denen fällt natürlich nur das ein. Aber Sie haben das Wissen, wo Möglichkeiten sind einzusparen. Also finde ich es auch überhaupt nicht unanständig, wenn Sie sich selbst Gedanken machen.

de Lorent: Man muß sich nicht auf die Elbtunnelröhre kaprizieren, es gibt auch andere Großprojekte im Bereich Hafen und Verkehr, die ökologisch und arbeitsmarktpolitisch umstritten sind, die aus dem Hamburger Haushalt finanziert werden. Zweitens schlage ich vor: Gehen wir doch einmal die einzelnen Bereiche durch. Für mich wäre Priorität zu sagen, die Arbeitszeit der ohnehin belasteten Kolleginnen und Kollegen darf sich nicht ändern. Und an den Klassenfrequenzen. Das sind Standards, über die man mit der GEW nicht diskutieren kann. Das könnte man sehr intensiv und handfest begründen. Sie selber haben gesagt, daß Sie es für ungerecht halten, eine Beschäftigtengruppe herauszugreifen. Es gibt keinen Zweifel daran, daß Pädagogen stark belastet sind, weil sie Aufgaben übernommen haben, die die Gesellschaft ihnen aufdrückt, weil bestimmte Dinge in der Familie nicht mehr laufen wie vor 20 Jahren.

Raab: Herr de Lorent, dafür sind die Schulen erheblich besser ausgestattet als vor 20 Jahren.

de Lorent: Es ist nicht nur eine Frage der Lehrer-Schüler-Relation. 25 Kinder 1993 in einer Klasse sind schwieriger als 40 Kinder 19...

Raab: Wo haben Sie das her?

de Lorent: Das zeigt die tägliche Erfahrung.

Raab: Also die Lehrer vergleichen ihre eigene Kindheit mit der heute?

de Lorent: Es gibt ja auch Lehrer, die seit 30 Jahren unterrichten.

Raab: Und die können das beurteilen?

de Lorent: Das denke ich wohl.

Raab: Es gehört für mich gerade bei Pädagogen zu den wirklich empörendsten Verhaltensweisen, die Belastung, die jemand ja subjektivdurchaus empfinden mag, einer Schülergeneration zuzuschreiben. Dafür gibt es wirklich keinerlei objektive Belege. Daß es in Journalistenkreisen üblich ist, von immer gewaltbereiteren, immer verhaltensauffälligeren Schülern zu reden, das ist eine Sache. Aber ich finde es von Pädagogen in einem ganz hohen Maße unverantwortlich, ihre eigene psychische Befindlichkeit auf angeblich immer schlimmer werdende Kinder zurückzuführen.

de Lorent: Darüber gibt es doch arbeitsmedizinische Untersuchungen.

Raab: Über die Kinder?

de Lorent: Nein, über die Belastung der Lehrer. Sie können nicht abstreiten, daß es heute schwieriger, aufwendiger, psychisch belastender ist als vor 30, 40 Jahren, als Sie oder ich zur Schule gegangen sind. Wenn ich mal meine Schulzeit nur als Vergleich nenne: da sind wir bis zur 12. Klasse aufgestanden, wenn der Lehrer reinkam, haben „Guten Morgen“ gesagt, uns hingesetzt und angefangen zu arbeiten. Das ist eine Situation, die Sie in der Schule nicht mehr vorfinden.

Raab: Also die Belastung besteht darin, daß es selbständigere, kritischere Schüler und Eltern gibt?

de Lorent: Nein, aber es ist heute nötig, auf 25 Kinder individuell einzugehen.

Raab: Anstatt auf 40.

de Lorent: Damals ist undifferenzierter gearbeitet worden, Sie müssen heute mehr an Persönlichkeit einbringen.

Raab: Das stimmt. Aber was hat das mit dem Thema Arbeitszeit zu tun?

de Lorent: Der Mediziner Müller-Limroth hat in seiner Untersuchung festgestellt, daß Lehrer einen permanenten Adrenalinspiegel haben, der höher ist als bei Führerscheinprüflingen. Das wäre vor 40 Jahren anders gewesen.

Raab: Ich will wissen, was Sie für Vorstellungen haben. Arbeitszeitverlängerung haben sie ausgeschlossen.

de Lorent: Wegen der größer gewordenen Belastung, aber auch wegen des verheerenden arbeitsmarktpolitischen Effektes.

Raab: Was aber statt dessen?

de Lorent: Ich würde mich erstmal mit Ihnen über diesen Punkt einigen.

Raab: Das ist das, was ich mit „Ausblendung von Realität“ meine: Sie glauben, Sie könnten mit mir aushandeln, um welche Einspar-Dimensionen es geht. Das geht nicht. Wir können nur darüber reden, welche Vorstellungen Sie haben? In welchen Bereichen wäre es vertretbar, und zwar gemessen an den Bildungsinteressen der Kinder? Wir müssen wegkommen von der Status- quo-Mentalität und uns fragen: Gibt es in diesem Bildungssystem Bereiche, die aus heutiger Sicht nicht mehr die Funktion erfüllen, die sie früher erfüllt haben? Die Aufbaugymnasien zum Beispiel hatten in einer Zeit, in der wir ausschließlich ein dreigliedriges Schulsystem mit hohen sozialen Barrieren beim Zugang zum Gymnasium hatten, eine wichtige bildungspolitische Funktion. Heute haben wir eine breite Öffnung der Gymnasien und ein ausgeprägtes Gesamtschulangebot. Da frage ich mich, was ist die Ursache dafür, daß wir diese Reparaturmaßnahme für das dreigliedrige Schulsystem heute in wachsendem Ausmaß noch brauchen? Da wären möglicherweise durchaus Einsparpotentiale, die in der Veränderung dieses Systems liegen. Was mich stört an der Reaktion darauf, ist, daß in dem Moment, wo auch nur drei Lehrerstellen gespart werden könnten, das Ganze als Sparmaßnahme diffamiert wird.

de Lorent: Man kann mit uns und den in diesen Bereichen Beschäftigten über Reparaturmaßnahmen, die zum Teil Warteschleifen für Schüler sind, reden und andere Konzeptionen entwickeln darüber, mehr für die Prophylaxe zu tun. Aber: Ob das einen Spareffekt hat, wird man doch erst sehen, wenn solche Konzeptionen vorliegen.

Raab: Ein anderes Beispiel ist der eigenverantwortliche Unterricht in der Referendarsausbildung. In dem Moment, wo auch nur zehn Stellen dadurch eigespart würden, wird diese Reform-Idee für nicht mehr akzeptabel gehalten. Es kann nicht angehen, daß wir gezwungen sind, in der Fläche Frequenzen anzuheben, nur weil wir solche vernünftigen, intelligenten Sparmaßnahmen, die keinen Schaden anrichten, nicht machen dürfen, weil Stellen gestrichen werden.

de Lorent: Sicher ist es ein Problem, wenn Lehrer bis zur Einstellung in den Schuldienst nie alleine vor einer Klasse gestanden haben und danach 27 Stunden eigenverantwortlich unterrichten sollen. Lehrerausbildung heißt, auf die Realität vorzubereiten. Aber das muß professionell angebahnt, vorbereitet und begleitet werden. Die akzeptable Grundidee könnte aber pervertiert werden, wenn man die 160 Stellen, die man durch bedarfsdeckenden Unterricht von Referendaren einspart, einkassiert, ohne sie wieder in die Betreuung und Qualifizierung von Refendaren zu investieren. Schleswig-Holstein macht jetzt das, was man für Hamburg befürchten muß. Die haben mit den bei uns geplanten sechs Stunden für Referendare angefangen und sind jetzt bei elf. Da gibt es keine professionelle Begleitung, da werden Referendare ins kalte Wasser gestürzt und perpetuieren ihre Fehler und Unzulänglichkeiten.

Das Problem, vor dem Sie stehen, wird mit jeder anderen Reform, die Sie anbieten, genauso sein. Ich erinnere Sie an die Diskussion über Autonomie, wenn Autonomie unter dem Rubrum steht, hier sollen Mängel verwaltet werden und an die Schule delegiert werden...

Raab: Ich glaube, daß Sie sehr schlecht beraten sind als Gewerkschaft, wenn Sie weiter die Gleichung aufmachen: mehr Lehrer gleich bessere Schule Und: Innovationen müssen immer etwas kosten. Damit werden Sie für die nächsten zehn Jahre jegliche Veränderung von Schule, an der Sie mitgestaltend arbeiten wollen, verhindern. Die Alternative heißt nicht: Wir machen Reformen nur mit, wenn sie mehr Stellen bringen. Wenn wir denn Hunderte von Stellen streichen müssen: Wollen wir das, indem wir Schlichtmodelle machen? Mehr Lehrerarbeitszeit, höhere Frequenzen, gekürzte Stundentafeln? Oder überlegen wir gemeinsam, welche Strukturveränderungen sind eigentlich in der Schule notwendig? Wo sind Strukturen ineffektiv und einfach nur teuer?

Halten Sie es denn vielleicht für möglich, mit Hilfe von intelligenten Sparmaßnahmen llldiese llanderen zu verhindern?

Raab: Das kann ich Ihnen nicht beantworten, und zwar deswegen nicht, weil ich die Dimensionen dessen, was auf uns zukommt, nicht absehen kann. Was der Senat beschließt, ist eine Sache. Daran bin ich beteiligt. Was ich aber nicht beeinflussen kann, ist die wirtschaftliche Entwicklung und die Einnahmesituation.

de Lorent: Ich behaupte, die Bildungssenatorin in dieser Stadt kann froh sein, daß es mit der GEW eine starke Bildungsgewerkschaft gibt. Nur durch uns und durch gemeinsame Aktivitäten mit Eltern und Schülern kann gesichert werden, daß die Begehrlichkeiten der Finanzpolitiker, die immer wieder den Bildungsbereich ins Fadenkreuz nehmen, nicht noch größer werden.