Seifert: “Ich werfe keinen Stein“

■ Der Professor über Zeitungen, Spinner, Polizisten, Prinzipienreiter und Ulrike Meinhof

Jürgen Seifert, Hannovers bekanntester Politologe und Jurist, wurde emeritiert, aber er lehrt weiter. Ein Gespräch mit dem Kämpfer für Humanität und Menschenrechte.

Sind Sie in den Jahren Ihrer Arbeit in der Provinzhauptstadt Hannover heimisch geworden?

Jürgen Seifert Ja. Diese Stadt ist besser als ihr Ruf und als die Selbsteinschätzung mancher Alt- Hannoveraner. Aber: Hannover hat zu wenig Öffentlichkeit, die muß noch entwickelt werden. Die alte Beamtenstadt brauchte sie nicht, heute ist sie unerläßlich. Statt dessen gibt es in Hannover noch immer Kampagnen und Ausgrenzungen.

Man denke nur daran, wie Lea Rosh von der Lokalpresse behandelt wurde. Die Alternativ-Zeitungen sind – so sehe ich es – daran gescheitert, daß sie zuviel Gesinnung brachten und zuwenig Nachrichten. Eine neue Zeitung hat nur Chancen, wenn sie über unterschlagene Wirklichkeiten berichtet. Hannover ist bunter als viele wissen. Allerdings halten sich hier nur „qualifizierte Spinner“, wie Peter von Oertzen gesagt hat.

Sie meinen, die Öffentlichkeit zerfällt in viele kleine Fragmente?

Ja, es kommt darauf an, die isolierten Ansätze zu verknüpfen. Eine Zeitung kann dazu beitragen, das deutlich zu machen, was über den jeweiligen Ansatz eines Projektes hinausweist. Es gibt in Hannover viele solche Projekte. Auf die Soße, die manche über alles gießen, kann man verzichten.

Sie sind selbst bis ins Detail gegangen, etwa bei dem gerade verabschiedeten Polizeigesetz und bei der Polizeireform. Sind Sie mit den Resultaten zufrieden?

Ja. Das ist ein Erfolg für Rot- Grün, den ich nicht erwartet habe. Niedersachsen hat ein Signal gesetzt. Zur Zeit beherrscht die Polizeireform noch alles. Doch uns ging es um mehr. Es gibt in der Polizei Leute, die wollen eine andere, eine bürgernahe Polizei. Das muß noch umgesetzt werden. Eine bürgernahe Polizei gehört nicht in Kasernen. Dazu gehört auch eine Deeskalationstaktik der Polizei.

Was sagen Sie zum Verfassungsschutzgesetz?

Auch hier liegt Niedersachsen vorn. Aber ein Gesetz verändert noch nicht die Praxis. Niemand darf nur wegen seiner Gesinnung observiert werden. Jeder weiß, daß ich die „Republikaner“ politisch bekämpfe. Aber ich bin dagegen, daß der Verfassungsschutz zu einer Waffe im politischen Kampf wird. Ob wir einen Verfassungsschutz brauchen, das ist ein „weites Feld“. Wenn nur erreicht wird, daß die Schilder „Verfassungsschutz“ durch „Landeskriminalamt“ ersetzt werden, ist damit nichts gewonnen.

Sie waren vor zwei Jahrzehnten in den Schlagzeilen, als Sie für den Psychologie-Professor Brückner eintraten und meinten, Ulrike Meinhof vom „bewaffneten Kampf“ abbringen zu können. Welche Konsequenzen hatte das für Sie?

Ich war damals das Objekt einer Kampagne. Auch deshalb werfe ich heute keinen Stein, wenn alle anderen werfen. Ulrike Meinhof kann und will ich nicht vergessen. Sie verstand sich als „Antifaschistin“. Wir haben 1958 zusammen Flugblätter und Artikel geschrieben. Später trennten sich unsere Wege. Ich habe weder ihre Einschätzung der Bundesrepublik als „faschistisch“ noch die Reduzierung von Politik auf Gewalt für richtig gehalten. Doch ich habe Ulrike Meinhof immer geachtet. Vermutlich mußte mein Appell 1972 scheitern, aber ich wollte nichts unversucht lassen. Das hat mir Verfolgung eingetragen.

Sie schreiben: ,Ich kämpfe seit 35 Jahren als Bürgerrechtler.' Ist unsere Gesellschaft in dieser Zeit demokratischer geworden?

Ja. Ich bin in einer Restaurationsphase politisch geworden. Heute gibt es sehr viel mehr demokratisches Verhalten als damals. Das ist im Widerstand entstanden. Zugleich spielten auch antiautoritäre Erziehung und Selbstregulierung eine große Rolle. Das war nie laissez-faire, sondern eine Antwort auf diejenigen, die jene verhängnisvollen Spiralen der Destruktivität in Gang setzen: Wahrung des Prinzips, um des Prinzips willen; Strafen um des Strafens willen; Heute kommt es erneut darauf an, dem Widerstand entgegen zu setzen. Fragen: kb/kk