Vom Politikversagen

■ Jürgen Seifert nahm Abschied

Nicht immer ist der Abschied alter Männer aus dem öffentlichen Dienst der Rede wert. Die Emeritierung von Jürgen Seifert bildet da eine Ausnahme, leitet sie doch einen Generationswechsel am Institut für Politische Wissenschaften der Uni ein. Der 66jährige Politikprofessor, der seit 1971 am Schneiderberg gelehrt hat, steht wie nur noch wenige Kollegen von ihm für couragiertes Einmischen ins politische Tagesgeschehen, um Unrecht, den Abbau demokratischer Rechte und die Ausweitung des Überwachungsstaates zu verhindern.

Bei seiner Verabschiedung würdigte der Soziologe Oskar Negt Seiferts Prinzipientreue. Mit Blick auf den akademischen Nachwuchs attestierte er Seifert, nie dem Opportunismus, der eigentlichen Geisteskrankheit der Intellektuellen, verfallen zu sein. Michael Greven von der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaften sprach von dem Vertreter des demokratischen Sozialismus.

Das kollegiale Lob erwiderte Seifert auf seine Weise: Zum Auftakt des Superwahljahres analysierte er die aktuelle politische Misere, nahm etablierte Politik und bürgerlich-alternative Protestbewegung sowie eine angepaßte Wissenschaft gleichermaßen ins Visier. Warum versagt Politik? Weil sich ihre Akteure nicht eingestehen wollen, daß sie gegenwärtig nicht die nötigen Instrumente entwikkelt haben, um die zentralen politisch- gesellschaftlichen Probleme – kriegerische Verheerung, ökologische Verödung und ökonomische Aufspaltung in Arm und Reich – zu lösen.

Statt sich auf die materiellen Lebensbedingungen der Menschen einzulassen und stets neu auszuloten und auszuprobieren, was hier und jetzt möglich ist, wird auf schnelle Lösungen gesetzt. Von fundamentalistischen Positionen aus (aufs Korn nahm der Linke vor allem die Autonomen) würden Heilswege proklamiert und rücksichtslos beschritten. Konsequenz: Falsche Rezepte wie die Fixierung auf das Nationale, das Religiöse, auf die Kraft von Entscheidungen und die Wirkung von Strafen sind wieder salonfähig.

Weil auf die Konzeption einer umfassenden Gesellschaftspolitik verzichtet wird, versuchen Politiker, Praktiker und Wissenschaftler das brüchige Gemeinwesen künstlich durch den Ausschluß von Menschen, denen Menschenwürde nicht zugebilligt wird, zusammenzuhalten, sagte der Professor. Das Tor sei dann offen für falsche, weil überzogene Hoffnungen auf den Staat und eine Überforderung der Möglichkeiten supra- nationaler Politik.

Seiferts skeptisches Fazit: Jede Weiterentwicklung wird derzeit blockiert, weil die konstitutionellen Formen der heutigen Politik zu einem historischen End- und Reifezustand erklärt werden. Neue, am Menschen orientierte Zukunftsentwürfe kämen ohne ein Minimum an Tugend und den Blick für Ungerechtigkeit nicht aus. Seifert plädiert für den experimentellen Umgang mit Projekten sowohl der Bürgerschaft wie von Politikern. Ohne Streitkultur und Bürgerbeteiligung ist eine Kehrtwende allerdings nicht zu haben. Politisches Handeln sei nur auf der Grundlage von Kommunikation denkbar. kk