Die Sirenen des Reichtums

■ Neu im Kino: „I was on Mars“, ein Film von Dani Levy

Männliche Hosenbeine, Füße von Frauen – in ausgelatschten Tretern, in feuerroten Stöckelschuhen, deren Pfennigabsatz sich in der Rolltreppe verfängt, Füße, die über Gummiböden gehen, Taschen und Koffer, die gegen Beine schlagen – und auf der Tonspur Satzfetzen, englisch, aha: All diese hastenden Füße – noch ist kein Körper, noch ist nicht ein Gesicht zu sehen – müssen dem Flugzeug in New York entstiegen sein. Und ein Paar dieser Füße – die altmodischen Treter in verstaubtem Schwarz – wird nun begleitet von der Kamera, beim Gang aufs Klo, wo sich zum ersten Mal der Körper zeigt, der Körper einer Frau, die ein Bündel Dollarnoten in ihrer Strumpfhose versteckt, die ihren Ehering vom Finger zieht, um ihn am Halskettchen zu verbergen. Erst jetzt ist sie bereit, sich in ihrer armseligen Unscheinbarkeit zu zeigen, erst jetzt beginnt der Zuschauer zu ahnen, daß diese Frau aus einem armen Land gekommen ist, um in New York das Glück zu suchen: Ein weiblicher Odysseus, der die Sirenenklänge der reichen Welt vernommen hat und jetzt entschlossen ist, den Luxus zu genießen.

Die Polin Silva (Maria Schrader): Sie spricht nicht ein Wort Englisch, und sie ist so naiv, sich gleich ihr ganzes Geld von Alio (Dani Levy), dem Little-Italy-Ganoven, klauen zu lassen. Doch ihre Stärke liegt im Kopf, dem Dicckopf, in ihrer obstinaten Weigerung, sich kleinkriegen zu lassen und ihren Traum vom anderen Leben zu begraben. Sie gibt nicht auf, sie findet Alio – und seinen Vetter Nic – und weicht den beiden nicht mehr von der Pelle. Wortkarg und eigensinnig schafft sie es, in diesem ärmlichen New York ein ganz persönliches, bescheidenes Glücksversprechen einzulösen. Und als es ihr gelungen ist, reist sie zufrieden wieder ab, nach Hause. Jetzt, da ihr Alio und Nic zu Füßen liegen, jetzt, da sie heimisch werden könnte auf dem „Mars“ – jetzt hat sie ihren Anteil an der Welt erobert und kehrt in ihre Welt zurück.

Silva hat diese fremde Stadt New York entdeckt – und wir mit ihr: So neu, so voller Überraschungen, so rätselhaft und so lebendig hat kaum jemand bisher im Film die tausendfach gefilmte Stadt gezeigt. So zart, so komisch und so melancholisch, so ungeschwätzig wird auch nicht oft erzählt von den Verhältnissen, die Menschen eingehen auf ihrer Suche nach dem Glück. „I was on Mars“ läßt den Personen ihr Geheimnis, erzählt, gleichsam im Flüsterton und ohne eitles Zelebrieren geschmäcklerischer Bilder, von dem, was Menschen in Bewegung setzt: der Traum vom besseren Leben, was immer das auch sei.

Sybille Simon-Zülch