Klopapier darf kratzen

„Ökomedia '93“ — Tage des Ökologischen Films in Berlin  ■ Von Steffen Jacobs

Was ist der gemeinsame Nenner von radioaktiver Eismeer-Verseuchung, Genversuchen an Menschen, tierquälerischer Massentierhaltung und „Persil Plantaren“? Wir sind es, die Konsumgesellschaft. Wir, die wir unsere Westen weiß und unsere Hände so gern in engagierter Unschuld waschen. Wir, die ausnahmslos am Perwollsyndrom leidende Weichmachergeneration. Den Tofu futtern wir gleich aus der Plastikfolie, und die Weihnachtsbräune beschert uns die Lufthansa. Nur beim Klopapier, da kennen wir kein Erbarmen, da bleiben wir eisenhart und konsequent.

„In Unschuld waschen?“ lautet der dräuend fragende Titel eines jener rund 300 Filme, die im vergangenen Jahr zu den vom Freiburger Ökomedia-Institut veranstalteten „Internationalen Tagen des ökologischen Films“ eingereicht wurden. 25 dieser Arbeiten hat man ausgewählt und auf eine Tournee durch die neuen Bundesländer geschickt. Nach Erfurt und vor Potsdam und Schwerin steigt das Umweltfilmfestival der zehnten „Ökomedia“ am Sonntag und Montag in Berlin, an einem Brennpunkt urbaner Fehlplanung, zwischen Plattenbauten und märkischer Brache: in Hellersdorf. Gefördert von der Hellersdorfer Steinstatt e.V. mit den Schwerpunkten Umweltfilm für Kinder und Umwelt im Fernsehen.

„In Unschuld waschen?“, um noch einen Moment bei diesem Beitrag zu verharren, zeigt nicht nur, wie die „Dritte Welt“ immer ärmer werden muß, damit man hierzulande weiß, was man hat. Schon der Titel des Films belegt darüber hinaus, daß die Wortwitzchen der Werbung nicht nur kritisiert, sondern, in aller Unschuld sozusagen, zu eigenen Zwecken benutzt werden. Vielleicht ist gerade diese Marktgängigkeit typisch für den gegenwärtigen Stand der ökologischen Bewegung. In kaum einem Bereich hat die öffentlich so gern ausgelobte Vereinigung von Ökologie und Ökonomie sich derart glückhaft verwirklichen lassen wie eben in der ökologischen Publizistik. Da hängt mancher hübsche Posten dran und manche Bilderbuchkarriere.

So ist der unvermeidliche Franz Alt mit einem Beitrag über alternative Energien ebenso vertreten wie ZDFs Volker „Dr.“ Arzt. Beide Autoren beziehen ihre Beliebtheit wohl auch aus der Tatsache, daß sie den Defätismus vieler Zeitgenossen nicht teilen mögen. „Seht, wie komplex unsere Welt ist“, sagt (sinngemäß) Arzt, und „Seht, wie schön unsere Welt im Schatten der Windkraftwerke wird, wenn nur die Aufklärung sich vollendet“, ergänzt (ebenfalls sinngemäß) Alt. Wo endet da Engagement, wo beginnt die Marktlücke?

Sehr populär bei der Titelwahl scheint auch der Rückgriff auf die Trivialkultur. Headlines wie „Atomalarm im Eismeer“ oder „Fluchtweg aus dem Treibhaus“ schwitzen den strengen Ruch reißerischer B-Pictures aus. Die wohl schnittigste Stromlinienförmigkeit hat der ökologische Film mit dem Öko-Spot erreicht. „Eine lustig tragbare Mischung“ versprechen die Veranstalter aus Anlaß der „Wiener Umwelt Rolle 92“. Nie lagen Wien und Cannes so nah beieinander.

Aber, wer weiß, vielleicht ist die Tragikomödie ja der adäquate Ausdruck für die Misere der Zeit. Wer in den nächsten Tagen nach Hellersdorf findet, stellt dem gedankenlosen Konsum immerhin das persönliche Engagement entgegen. Zwar bestimmen die öffentlich-rechtlich produzierten, folgerichtig in Video-Projektion dargebotenen Dreißigminüter das Erscheinungsbild des Umweltfilmfestivals. Mit Werner Herzogs „Lektionen in Finsternis“ sind aber auch die Cineasten angesprochen. Hier wird, anhand von Aufnahmen aus dem brennenden Nachkriegs-Kuwait, einmal nicht kritisch-objektiv aufgeklärt, sondern subjektiv verdüstert-verdichtet. Die Katastrophe als schwer verdaulicher Brocken, nicht als TV- Häppchen – auch das ist möglich.

Vom 22. bis zum 24.1. in der Kino- „Kiste“, Hellersdorf: morgen ab 10 Uhr und am 23.1. ab 9 Uhr, Heidenauer Straße 10

„Ökomedia 93“ wandert dann weiter nach Potsdam (25.–26.1.) und, als letzte Station, nach Schwerin (28.–29.1.)