: Sowjetservice zu Westpreisen
Die touristische Infrastruktur läßt zu wünschen übrig, die Nächte sind kurz, und außer der Hotelbar ist nichts gewesen. Einzelreisende scheuen noch den organisatorischen Aufwand ■ Von Donata Riedel
Wie schlecht für die Kunden ein Monopol ist, kann jeder Tourist bei einer Reise durch Rußland erleben. Noch immer verwaltet Intourist Hotelbuchungen aus dem Ausland und reserviert die Züge. Auch die deutschen Reiseanbieter arbeiten mangels Alternative vor Ort in der Regel weiter mit der Firma zusammen, die heute sowjetischen Service mit westeuropäischen Preisen kombiniert. Die Transsib selbst ist dabei noch erschwinglich; die Strecke Wladiwostok–Moskau kostet in der zweiten Klasse (recht geräumige Vierbett-Abteile) unter 1.000 Mark.
Teuer wird's und in der Organisation auch aufwendig, sobald man aussteigt: Das Einzelzimmer im Intourist-Vertragshotel kostet im Schnitt 120 Mark pro Nacht, nach hiesigen Maßstäben wäre es mit 70 Mark schon überbezahlt. Im Prinzip kann man sich zwar auch vor Ort, für wesentlich weniger Geld, ein Zimmer suchen – nur bekommt man als Tourist ohne lückenlose Hotelbuchungen oder eine private beglaubigte Einladung kein Visum. Und häufig sind die wenigen Hotels auch schon langfristig ausgebucht.
Wegen des Aufwands bei der Vorbereitung trifft man bislang nur wenige Einzelreisende, die die Fünfeinhalb-Tage-Reise von Wladiwostok nach Moskau unterwegs unterbrechen. Dabei kann man sich in Rußland, sobald man eingereist ist, absolut frei bewegen. Besonders in den vormals geschlossenen Städten wie Wladiwostok sind die Leute durchaus interessiert, mit Westeuropäern Bekanntschaften zu schließen. Und gerade in Sibirien sind die Menschen stolz darauf, als die gastfreundlichsten aller Russen zu gelten.
Um so enttäuschender ist für Westler die Gastronomie und das Nachtleben – auch in Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern. Am besten stellt man sich gleich darauf ein, früher als gewohnt schlafen zu gehen, weil man des Nachts nichts verpaßt. In den Zentren gibt es zwar Restaurants oder Cafés. Ihr Zweck ist aber allein, den gröbsten Hunger mit den einfachsten Nahrungsmitteln zu bekämpfen. Resopaltische und Plastikstühle stehen in nur selten geputzten kahlen Räumen. Verhärmte Frauen in schmuddeligen Kitteln klatschen das häufig reichlich fettige Essen lieblos auf den Teller. Da schmeckt's nur dann halbwegs, wenn das Auge nicht mitißt. Ähnlich ist das Ambiente häufig in den Restaurants der Intourist-Hotels, in denen man auch heute noch am Eingang auf die Plazierung warten muß, selbst wenn der Laden leer ist.
Weil russische Normalbürger sich praktisch ausschließlich in privatem Rahmen treffen, gibt es nur wenige wirklich gute Restaurants. Diese wenden sich an die Neuen Reichen sowie Reisende aus Japan und dem Westen, sind entsprechend teuer und schließen meistens um 23 Uhr. Danach bleibt meistens nur die Hotelbar. Manchmal allerdings, wenn man Glück hat, findet sich in Universitätsstädten ein kleineres Café einer Kooperative, in dem sich die Studenten treffen.
Grundsätzlich anders ist es bisher nur in Moskau und St. Petersburg, den „westlichsten“ Städten Rußlands. Für die vielen Ausländer gibt es Kneipen, Restaurants und Discos. Russisch in diesen Etablisements ist dort jedoch häufig nur das Personal.
Zusätzlich zu den überhöhten Hotelpreisen hat Intourist noch eine weitere Masche des Geldabzockens entwickelt. Sie heißt „Transfer“: Man wird am Bahnhof abgeholt, ins Hotel gebracht und bei Abreise wieder zum Bahnhof gefahren – zur eigenen Sicherheit, behauptet Intourist. Das kostet 116 Mark, wobei das Hotel in der Regel nicht mehr als eine Viertel- Autostunde vom Bahnhof entfernt liegt, es Taxis, Busse oder Straßenbahnen gibt. Abgesehen davon, daß russische Städte entgegen anderslautender Gerüchte für Touristen nicht gefährlicher sind als Berlin, kann man sich auf den „sicheren Transfer“ keinesfalls verlassen: An zwei von fünf Stationen war bei meiner Reise niemand am Bahnhof. Und an allen fünf Stationen erforderte es mehrere Telefonate, um die Zeit für die Abreise mit den Intourist-Leuten verbindlich abzusprechen.
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