■ Press-Schlag
: Gestörter Sportsgeist beim TuS Walle

„Nirgends sind Harmonie, Freundschaft und Vertrauen so groß wie bei uns“, verriet der Bremer Kaufmann und Handballsponsor Volker Brüggemann (51) sein Erfolgsgeheimnis auf dem Gipfel des Ruhmes 1991. Die Zeiten ändern sich: Derzeit sitzt der Mäzen des TuS Walle Bremen mit seinem Freund Hans-Wilhelm „Eddi“ Birr harmonisch auf der Anklagebank des Bremer Landgerichts und vertraut nur noch seinen Anwälten. Volker Brüggemann und Eddi Birr (46): Der eine zahlte, der andere „managte“ die Frauenabteilung des TuS Walle Bremen von der Nordsee-Liga bis zur gesamtdeutschen Meisterschaft im Hallenhandball 1991.

Siebenstellige Summen hat Brüggemann, der sein Geld mit Warentermingeschäften machte, in Spielerinnen-Einkäufe und Profiverträge gesteckt. Das Geld aber stinkt möglicherweise, meint die Bremer Staatsanwaltschaft. Brüggemann ist angeklagt, zusammen mit Eddi Birr und weiteren Mitarbeitern seiner Firma Contracta Rohstoffhandel seine Kunden zwischen 1985 und 1991 um rund 19 Millionen Mark betrogen zu haben. Größter Klopfer in der Anklage ist der Beschiß an einem Molkereibesitzer aus Schleswig- Holstein. Allein ihm müssen 13,7 Mio. Mark Schaden ersetzt werden, hat ein Zivilgericht bereits entschieden.

Funktioniert haben soll es so: Rund 12 Telefonverkäufer suchten sich über Jahre kapitalkräftige Selbständige aus den Telefonbüchern heraus und versprachen ihnen „zwei- bis dreimal pro Jahr steuerfreie Renditen zwischen 30 und 40 Prozent“, so jedenfalls hieß es in dem „Gesprächsleitfaden“, den die Telefonwerber der Contracta auswendig lernen mußten, bevor sie die Kunden anbaggerten. Erst wurden interessierten Anlegern Broschüren zugesandt, Wochen später dann meldeten sich die Verkäufer „bei einer günstigen Marktsituation“ und leierten ihren Kunden für hochspekulative Optionsgeschäfte mit Rohstoffen wie Weizen und Zucker fünfstellige Summen aus dem Bauch: Beratungsresistente Opfer bekamen eine „Einwandbehandlung“, die ebenfalls auswendig gelernt wurde. 45 Prozent des Einsatzes gingen per se an die Contracta, davon etwa ein Drittel an Brüggemann selbst. In einigen Fällen, so formulierte es die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift, hätten Brüggemann und Birr nicht einmal die restlichen 55 Prozent der Kunden an den Börsen plaziert.

Allein zwischen 1986 und 1987 sollen so 2,3 Mio. Mark „für die Sponsorentätigkeit des TuS Walle“ abgeflossen sein, sagen die Bremer Ankläger. Das Geschäft lohnte für alle Beteiligten außer den Anlegern. Die Telefonverkäufer bekamen acht bis zehn Prozent des Einsatzes, was immerhin zu einem Monatsverdienst von durchschnittlich 12.000 bis 15.000 Mark und mehr führte. Volker D., Mitangeklagter und eine Art Obertelefonierer bei der Contracta, gab als höchstes Monatseinkommen 70.000 Mark an, Klaus S, „Verkaufsleiter“ der Contracta und ebenfalls nach Ansicht der Staatsanwaltschaft am Betrug beteiligt, hatte als Spitzenverdienst 280.000 Mark „in einem Spitzenmonat“ verbucht.

Sechs Verhandlungstage hat es gegeben, 43 Verhandlungstage hat das Gericht von sich aus schon einmal angesetzt, um Licht in die Geschäfte von Brüggemann und Co. zu werfen. Bereits zu diesem Zeitpunkt darf man aber schon einmal den Sportsgeist würdigen, mit dem Brüggemann seine Mitarbeiter in der Contracta zur Unterstützung des TuS Walle motiviert hat. Volker D. beispielsweise berichtete vor der VI. Großen Strafkammer von einem innerbetrieblichen Disziplinarsystem. Wer als Telefonverkäufer einen Fehler machte oder zu spät kam, mußte für den TuS Walle „spenden“. Zwischen 500 Mark und 3.000 Mark lagen diese „Spenden“. „Wehren konnte man sich nicht. Das Geld wurde sofort einbehalten“, erzählte D.

Alle Contracta-Verkäufer waren „freie Handelsvertreter“, die ausschließlich auf Provision arbeiteten und bis zu sechsmal im Jahr zu einem Betriebsausflug eingeladen wurden. Es ging per Bahn in den Harz oder per Flieger nach Budapest und London. Auf diesen Reisen wurden kleine Wetten abgeschlossen: Erzielten die Verkäufer eine bestimmte Anzahl von Verträgen in einer bestimmten Zeit, zahlte Brüggemann den Betriebsausflug. Ging die Wette verloren, zahlten die Mitarbeiter die betriebliche Sause aus der eigenen Tasche. „Die Provisionen waren von vornherein so hoch, daß man sie nicht erreichen konnte“, erzählte D.

An reisefreien Wochenenden waren Spielbesuche beim TuS Walle obligatorisch, und wer nicht laut genug applaudierte, mußte 50 Mark „spenden“. Selbstverständlich waren alle Mitarbeiter der Contracta auch Mitglieder des „Fördervereins TuS Walle“: Mit 50 Mark pro Monat waren sie dabei. Brüggemann selbst zahlte aber nicht nur und kassierte, sondern wurde bei besonderen Anläßen auch sportlich aktiv. Ging ihm etwas gegen den Strich, kam es schon mal vor, daß er „jemanden am Kragen gepackt“ und „an die Wand gedrückt hat“, mit dem sportlichen Ruf: „Dich mach' ich platt.“

Klaus S. hat seinen eigenen Angaben zufolge „irgendwann den Verdacht gehabt, daß in der Firma etwas nicht stimmen könnte“. Es sei vorgekommen, daß noch am gleichen Tag, an dem Kunden Plazierungen an einer Börse gewünscht hätten, schon die Totalverlustmeldung gekommen sei, „obwohl so ein Geschäft im Schnitt zwei Monate dauert“. Zusätzlich zu seinem Verdacht hatte er sich mit Brüggemann „am Ende meiner Tätigkeit für die Contracta völlig überworfen“. Der Grund war ein rein sportlicher: Brüggemann hatte S. in seiner unnachahmlichen Art mittlerweile zu Spenden in Höhe von 20.000 Mark ermuntert. Ob er denn gezwungen worden sei, daß Geld zu zahlen, wollte der Vorsitzende Richter der Kammer, Harald Schmacke, wissen. Die Antwort klang ehrlich: „Ich hätte lieber nicht gespendet.“ Markus Daschner