■ Bücher.klein
: Als die Demokratie noch Spaß machte

Dem ungarischen Politikprofessor Elemer Hankiss war mit 61 Jahren, in einem Alter also, da der gewöhnliche Akademiker sich in Gedanken bereits dem großen Alterswerk oder der Verzehrung seiner Pension mit unangemessen jungen LiebhaberInnen zuwendet, noch einer jener Karrieresprünge beschieden, wie sie wohl nur in Revolutionen vorkommen: „An einem schönen Augustmorgen des Jahres 1990 erwachte ich leicht angeekelt mit dem merkwürdigen Gefühl, der Intendant des Ungarischen Fernsehens zu sein.“ Das Gefühl bestätigt sich im Lauf des Frühstücks, und bald stellen sich dem Helden dieser Geschichte die unvermeidlichen Fragen der Etikette: Wie soll er – da er keinen dieser laubgesägten Funktionärsanzüge besitzt – einen Machthaber darstellen, den die immerhin 3.000 Angestellten seiner Firma nicht schon auf der Schwelle auslachen? Hankiss trägt zur Inthronisation „die Uniform der notorisch lässigen Intellektuellen: Jeans und Pullover“. In diesem Aufzug sitzt der Oppositionelle später am Tage in der Intendantensuite, ein cremefarbenes Telefon mit unzähligen Knöpfen vor sich, Lenins Werke hinter sich – er fühlt sich, wen wundert's, irgendwie elend.

In den kommenden zwei Jahren wird Hankiss das Ungarische Fernsehen zu der freiesten Sendeanstalt in Ostmitteleuropa ausbauen. Das bringt ihm naturgemäß den Haß des Vizepräsidenten des Demokratischen Forums, Csurka, ein, der ihn in seinem populistisch-nationalistischen Manifest vom August 1992 die Ehre angedeihen läßt, die Figur des Hauptagenten einer jüdisch-bolschewistisch-liberal-kosmopolitischen Verschwörung darzustellen. Dieser Moment, wo der vormals subversive, machtferne Wissenschaftler plötzlich zur Leinwand wird, auf die ein machtsüchtiger Demagoge seine politischen Tagträume projiziert, ist nur der Höhepunkt einer Affäre, die Hankiss mit beachtlichem humoristischem Talent schildert: der ungarische „Medienkrieg“. Eine sehr empfehlenswerte Erinnerung an „den Spaß, den man beim Aufbau einer Demokratie haben kann“.

Heute findet man das Wort Spaß in diesem Zusammenhang ja schon reichlich frivol. Warum das so ist, ergründet ein anderer Beitrag des hervorragenden neuen Hefts der Europäischen Revue Transit. Der amerikanische Historiker Tony Judt malt ein Tableau der „politischen Mythen der Nachkriegszeit“ – von der Verdrängung der Kollaboration zugunsten des Mythos der Résistance über die Verdrängung der realsozialistischen Repression zugunsten der Ostpolitik bis – neueste Entwicklung – zu der Verdrängung der Modernisierungsleistungen des Kommunismus aus Rücksicht auf seine Opfer. la

„Transit. Europäische Revue“ Heft 6, 1993. Verlag Neue Kritik, 194 S., 20 DM