■ Nach dem Scheitern der politischen Reform Hosokawas
: Rollback in Japan

Statt von Politikverdrossenheit war in Japan während der letzten Monate vom Reformfieber die Rede. Trotz Rezession und des politischen Provisoriums einer regierenden Acht-Parteien-Koalition war in Japan von der im Westen vielverkündeten Sonnenuntergangsstimmung wenig zu spüren. Haben sich die Japaner damit selbst etwas vorgemacht?

Das plötzliche Scheitern der politischen Reformen im Parlament und der drohende Rücktritt von Premierminister Morihiro Hosokawa stellen den japanischen Demokratisierungsprozeß zweifellos grundsätzlich in Frage. Zunächst geht es dabei um die Reformen selbst: Die Einführung eines neuen Wahlgesetzes und die Neuregelung der Parteienfinanzierung hätte Nippons gesamte politische Landschaft neu geformt. Herausgekommen wäre dabei kein korruptionsfreies Japan und schon gar kein progressiv-linkes Regierungsbündnis. Aber der für die japanische Politik allesentscheidende Generationswechsel wäre gelungen, und dem bislang allesbeherrschenden Lobbyismus der Wirtschaft wäre die Grundlage entzogen gewesen. Ein Reformkompromiß mit den oppositionellen Liberaldemokraten, wie er jetzt von machen Regierungsmitgliedern befürwortet wird, würde diese Versprechen wohl kaum mehr einlösen. Denn letztlich wäre er nur die Basis für einen Schulterschluß der konservativen Kräfte innerhalb von Regierung und Opposition.

Ein solches Rollback nach dem Reformersieg bei den Wahlen im letzten August zu verhindern – dafür stand bislang die Person von Premierminister Morihiro Hosokawa. Dem Fürstensohn, der eine liberal- konservative Grundhaltung mitbrachte, gelang es nicht nur, das Volk zumindest vorübergehend mit der Politik zu versöhnen; gleichzeitig verkörperte er den Kompromiß der altsozialistischen und der neuliberalen Positionen. Den entscheidenen Kitt lieferte er schon kurz nach der Machtübernahme mit seinem Schuldbekenntnis zu den japanischen Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg. Der moralische Brückenschlag zur Linken erlaubte Hosokawa dann, ihre wirtschaftspolitischen Forderungen zu übergehen. Die Aufhebung des Reisimportverbots gegen zahlreiche innenpolitische Proteste war die Folge. Doch insgeheim schienen sich Linke und Liberale zu versöhnen. Innerhalb der Sozialdemokraten bildete sich bald eine große Gruppe, die sich fest auf den Hosokawa- Kurs einschwor.

Insofern kam der Aufstand der alten Kräfte im Parlament nicht unerwartet. Orthodoxe Liberaldemokraten und Sozialisten verbrüderten sich am Freitag vielleicht zum letzten Mal, um den Angriff auf ihre Wahlkreisbastionen und das politische System der Nachkriegszeit abzuwehren. Doch ihr Abstimmungssieg hat gefährliche Konsequenzen. Für Hosokawa wird es nun schwer werden, das Steuer in der Hand zu behalten, denn er hat sein Amt vom Erfolg abhängig gemacht. Ersten Gerüchten zufolge soll Außenminister Tsutomu Hata, Chef der konservativen Erneuerungspartei, die Regierung übernehmen, um Neuwahlen hinauszuzögern. Mit Hata an der Spitze würden die Sozialdemokraten zweifellos aus der Regierung gedrängt werden; der Kompromiß mit Teilen der Liberaldemokraten würde zur politischen Notwendigkeit. Damit würden auch innerhalb der jetzigen Regierungskoalition jene Kräfte um Hata an Gewicht gewinnen, die noch vor zwölf Monaten zur alten Regierungspartei gehörten und erst im Sommer die Wende wagten. Die politische Wachablösung könnte so hinter einem Paravent rückgängig gemacht werden.

Was dann bleibt, ist möglicherweise erneut Politikverdrossenheit. Seit Jahren befindet sich Japans politische Klasse im Strudel der Skandale, die bis heute ihre Opfer in den Abgrund reißen. Schon gelten die neuesten Beschuldigungen der Staatanwaltschaft über systematische Bestechungsverfahren der Bauindustrie als weitreichender denn je. Es war deshalb kein gutes Omen, als am Freitag abend – wie in alten Zeiten – die fünf Fraktionschefs der Liberaldemokraten zusammenkamen, um über die Zukunft der Nation zu beraten. Sie hielt man für abgeschrieben. Doch so recht wußte gestern niemand mehr, wer ihre Rückkehr an die Macht in Japan aufhalten konnte. Für das Ausland wäre das eine Schreckensnachricht: In ihrem Vertrauen auf den Reformersieg hatte die amerikanische Regierung bereits wichtige handelspolitische Forderungen zurückgestellt. Auch der westliche Traum, die Japan AG, also das undurchdringbare Geflecht zwischen Wirtschaft, Bürokratie und Politik, könne sich mit der Demokratisierung praktisch von innen selbst auflösen, könnte gestern zerstoben sein. Georg Blume, Tokio