Japans Reformregierung vor dem Ende

Das Parlament lehnt Gesetze gegen den Parteienfilz ab  ■ Aus Tokio Georg Blume

In Japan ist mit dem Rücktritt des Ministerpräsidenten oder der Auflösung des Parlaments zu rechnen, nachdem das Parlament gestern die Reformgesetze der Regierung in einer Kampfabstimmung kippte. Mit überraschend deutlichen 130 zu 118 Stimmen entschied sich das Oberhaus gegen ein neues Wahlgesetz und die Reform der Parteifinanzierung.

Die insgesamt vier gescheiterten Gesetzentwürfe bildeten das Herzstück des Regierungsprogramms von Premierminister Morihiro Hosokawa und das ehrgeizigste Reformprojekt in Japan seit dem Zweiten Weltkrieg. Ihr Ziel wäre es gewesen, den Geldfluß aus der Wirtschaft in die Politik zu stoppen und den urbanen Wählerschichten mit einer neuen Wahlkreisaufteilung mehr Stimmrecht als bisher einzuräumen.

„Wir werden mit allen Mitteln versuchen, die Gesetze doch noch durchzubringen“, sagte Hosokawa nach der Abstimmung – doch seine Stimme klang ohne Überzeugung. 17 rebellierende Sozialdemokraten, die in der Regierungskoalition von Hosokawa die größte Partei bilden, hatten das Projekt zu Fall gebracht – mit ihren Stimmen hätte es zur Mehrheit gereicht. „Unsere Partei trägt die Verantwortung“, räumte denn auch Tomiichi Murayama, Parteichef der Sozialdemokraten, gleich nach der Abstimmung ein.

Nun steht das Überleben der Regierungskoalition in Frage. Sowohl Premierminister Hosokawa als auch Sozialdemokratenchef Murayama haben ihr politisches Schicksal an die Verwirklichung politischer Reformen geknüpft. Falls es Hosokawa bis zum Ende der Sitzungsperiode des Parlaments am 29. Januar nicht gelingt, die Gesetze über einen Schlichtungsausschuß des Parlaments erneut zur Vorlage zu bringen und zu verabschieden, rechnen Beobachter mit seinem Rücktritt und anschließenden Neuwahlen.

Nur noch eine Zweidrittel- Mehrheit im Unterhaus, das die Gesetzentwürfe bereits im November gebilligt hatte, oder ein Kompromiß zwischen beiden Parlamentskammern können laut Artikel 59 der japanischen Verfassung noch zur Verabschiedung der Gesetze führen. Dafür müßte Hosokawa sich mit den oppositionellen Liberaldemokraten einigen, die bis zum letzten August 38 Jahre lang Japan ununterbrochen regiert hatten. Gestern abend entschied sich die Regierung, am Montag die eben erst gescheiterten Kompromißverhandlungen mit der Opposition im Schlichtungsausschuß der beiden Parlamentskammern erneut aufzunehmen. „Im Notfall könnten wir den Gesetzesvorschlägen der Opposition zustimmen, um die Auflösung des Parlaments zu vermeiden“, sagte ein Regierungsvertreter.

Die LDP hatte im vergangenen Herbst ein eigenes Reformprojekt vorgelegt, das den Regierungsentwürfen ähnelt, jedoch im Detail stark abweicht. Insbesondere das Verbot für Unternehmensspenden an einzelne Politiker kommt in den LDP-Entwürfen nicht vor. Außerdem will die LDP eine größere Betonung des Mehrheitswahlrechts zuungunsten des Verhältniswahlrechts. Nach Vorstellung der Regierung sollten Mehrheits- und Verhältniswahl annähernd gleichwertig werden.

„Der Unterschied der Reformentwürfe ist so klein geworden, daß ein Kompromiß immer noch möglich ist“, sagte gestern der Politologe Kenzo Uchida. Doch nur wenige Beobachter prophezeien einen leichten Kompromiß. Längst sind die Sozialdemokraten über ihre Rolle innerhalb der Regierungskoalition so zerstritten, daß auch eine Parteispaltung nicht mehr ausgeschlossen scheint. Ein ums andere Mal mußte die größte Partei im Regierungslager in den letzten Wochen bittere Niederlagen einstecken: zuerst bei der Billigung des Reisimports, dann bei der Lockerung der Parteifinanzierung im Gesetzentwurf der Regierung. Diesen Entwurf nun nochmals großzügiger zu gestalten, um damit den Vorschlägen der LDP zu folgen, könnte die Sozialdemokraten endgültig aus dem Regierungslager herauslösen und damit zum Rücktritt des Ministerpräsidenten und zu Neuwahlen führen.

„Unsere Aufgabe, das politische System der letzten 50 Jahre zu verabschieden, bleibt erhalten“, versprach Satoshi Arai, ein Sprecher von Hosokawas Neuer Partei. Doch zum ersten Mal seit dem Regierungswechsel verspüren die geschaßten Liberaldemokraten wieder Aufwind: „Das Ausmaß der Niederlage ist so groß, daß die Koalition ihre nächsten Schritte wohl bedenken sollte,“ warnte gestern LDP-Parteichef Yohei Kono.