Drei Guys, ein Mord und 46 Kampfhubschrauber

■ Belgien: Vize-Premier und wallonische Regierungsmitglieder zurückgetreten

Brüssel (taz) – Noch in der vergangenen Woche verspürte der belgische Vize-Premierminister Guy Coäme „ein Gefühl tiefer Ungerechtigkeit“ als ihm vorgeworfen wurde, in die „Agusta-Affäre“ verstrickt zu sein. Gestern, kaum sieben Tage später, trat er zurück. Nur wenige Stunden später erklärten auch der Ministerpräsident der Republik Walloniens, Guy Spitaels und sein Regionalminister Guy Mathot ihren Rücktritt.

Belgien erlebt einen Politskandal, in dem nichts fehlt: Mord, Korruption, gute und schlechte Hubschrauber und natürlich Geld, viel Geld. Die Lütticher Staatsanwältin Véronique Ancia hatte in zähen Verhandlungen die teilweise Aufhebung der Immunität Guy Spitaels und seines Regionalministers Guy Mathot erreicht. Nachdem das Parlament am Donnerstag abend so entschieden hatte, konnten die beiden zwar nicht verhaftet, aber immerhin doch befragt werden. Fehlte nur noch Guy Coäme.

Die drei Guys haben nach Ansicht der Staatsanwältin im Jahr 1988 der italienischen Rüstungsfirma „Agusta“ einen belgischen Staatsauftrag über 600 Millionen Mark zugeschanzt, wofür sich Agusta mit einer Aufmerksamkeit von 700.000 Mark an die Parteikasse der wallonischen Sozialisten erkenntlich zeigte.

Guy Coäme, der damals Verteidigungsminister war, soll einen Prüfbericht des Beschaffungsausschusses der belgischen Armee zur Anschaffung von 46 Hubschraubern so gefälscht haben, daß die eigentlich überlegenen Angebote der deutschen Waffenschmiede MBB und der französischen Aerospatiale keine Chance mehr hatten. Die Waffen-Experten der Armee hatten in dem Bericht nahegelegt, die Hubschrauber entweder in Deutschland oder in Frankreich zu kaufen – und wunderten sich nicht schlecht, als dann doch das italienische Modell kam.

Nach den Informationen der Staatsanwältin war der 1991 auf offener Straße erschossene damalige Sozialistenchef André Cools einer der Hauptdrahtzieher der belgisch-italienischen Connection. Damit hätte auch seine Ermordung plötzlich wieder ein Motiv – Cools soll in den Wochen zuvor auffallend aktiv geworden sein, um die Parteispende zu sichern.

Die drei sozialistischen Politiker bestreiten gar nicht, daß „Agusta“ der Partei 1988 solch großzügige Hilfe versprochen hat, halten aber jeden Zusammenhang mit den Hubschraubern für eine gemeine Unterstellung. Und weil sie sich von der Schnüffelei der Staatsanwältin bei ihrer politischen Arbeit behindert fühlten, übten sie Vorneverteidigung und forderten ein Ende der Untersuchung.

Die Eskalation der Affäre bringt nicht nur das mühsam ausbalancierte Gleichgewicht in der Vier-Parteien-Koalition der Regierung Dehaene zum Wackeln – mit je einer sozialistischen und einer konservativen Partei sind die beiden Sprachgruppen in etwa gleichmäßig vertreten. Der Hubschrauber-Deal könnte auch die mühsam gekittete nationale Einheit in neue Turbulenzen stürzen. Denn die drei Guys sind nicht nur Sozialisten, sondern auch französischsprachige Wallonen. Während flämische Zeitungen vehement den Rücktritt forderten, listete der wallonisch-sozialistenfreundliche Le Soir fein säuberlich die letzten Politskandale auf, und vergaß nicht darauf hinzuweisen, daß „sechs der sieben betroffenen Parlamentarier Flamen“ waren.

Vielleicht haben sich die Politiker der anderen Parteien deshalb in den vergangenen Tagen so zurückgehalten. Mit der zögerlichen und schrittweisen Aufhebung der Immunität machten sie der Staatsanwältin die Arbeit nicht unbedingt leicht.

Le Soir legte allerdings eine andere Erklärung nahe. Das Verteidigungsministerium sei wegen der teilweise geheimen Auftragsvergaben immer schon ein bevorzugter Ort für Skandale gewesen. Daß der Posten des Verteidigungsministers so häufig zwischen den Parteien herumgereicht wird, habe möglicherweise damit zu tun, daß das Amt als „Jackpot für die traditionellen Parteien“ betrachtet wird. Alois Berger