: Er sprach von „Befreiungschlag“ und meinte Kabinettsumbildung: Hessens Ministerpräsident Hans Eichel sucht nach dem Lotto-Treuhandskandal seinen Kopf und die rotgrüne Koalitionsregierung zu retten. Seine eigene Fraktion folgt ihm – ohne Begeisterung Aus WiesbadenKlaus-Peter Klingelschmitt
Einsatz mit Risiko und ohne Gewähr
WMit einem „Befreiungsschlag“ versuchte der hessische Ministerpräsident und Sozialdemokrat Hans Eichel gestern die Flucht nach vorne anzutreten: Kabinettsrevirement war angesagt in Wiesbaden. Denn in Hessen sind inzwischen sechs aus 20 (Minister und Staatsekretäre) gefallen. Und Eichel blieb nur noch ein „Zusatzspiel“, um am Ende nicht selbst auf der Strecke zu bleiben.
Denn die hessische Koalitionsregierung steckt in einer tiefen Krise. Erst am Donnerstag war Finanzministerin Annette Fugmann- Heesing wegen der Lotto-Treuhand-Affäre zurückgetreten – wenn auch nicht „bis 12 Uhr mittags“, wie die CDU und FDP des Landes gefordert hatten. Da war Eichel eisenhart geblieben. Die Ministerin trat erst um exakt 17.01 Uhr vor die Landespressekonferenz, um ihren freiwilligen Abgang zu verkünden.
Erst vor wenigen Tagen war die Sozialdemokratin von Eichel als Aufsichtsratsvorsitzende der hessischen Lottogesellschaft eingesetzt worden. Fugmann-Heesing am Donnerstag: „Durch die intensive Beschäftigung mit den Vorgängen im Zusammenhang mit der Lotterie-Treuhandgesellschaft ist mir deutlich geworden, daß ich dieser Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit hätte widmen sollen. Ich will mit meinem Rücktritt ein Zeichen setzen für alle Bürgerinnen und Bürger, die auf diese Vorgänge mit Unverständnis und Verärgerung reagieren – ein Zeichen dafür, daß ich mir meiner politischen Verantwortung bewußt bin.“ Es ehrt Annette Fugmann- Heesing, daß sie als Ministerin – gegen den Willen des Ministerpräsidenten – die politische Verantwortung für einen politischen Skandal übernommen hat, in den leitende Mitarbeiter ihres Hauses verwickelt waren und sind – und der sich mittlerweile zur handfesten Regierungskrise ausgewachsen hat.
Schließlich ist die 39jährige Ex- Kämmerin der Stadt Herford, die von Eichel 1991 als „Hoffnungsträgerin“ ins Kabinett berufen wurde, das erste „Opfer“ der neuen, weit weniger üppigen Versorgungsbestimmungen des Landes. Diese waren auf Druck der Grünen und des Bundes der Steuerzahler nach dem hessischen Diätenskandal im Landtag verabschiedet worden. Danach erhält Fugmann-Heesing erst ab dem 55. Lebensjahr Versorgungszahlungen aus ihrer Ministerinnentätigkeit. Anders ihr vor Wochenfrist geschaßter Staatssekretär Otto Geske: Der für den Lottoskandal mitverantwortliche Geske, der auch Aufsichtsratsvorsitzender der Lottogesellschaft war, bekommt seine kumulierten Versorgungsbezüge ab sofort aufs fette Bankkonto überwiesen.
Gestern nachmittag versuchte Regierungschef Eichel – wie schon vor dem Landesvorstand am Vormittag im „Schwarzen Bock“ in Wiesbaden –, auch vor der Landtagsfraktion seine Vorstellungen von einer Neuordnung im bislang blassen Kabinett Eichel/Fischer durchzusetzen – und der „Einsatz“ hieß Ministerpräsident Hans Eichel. Wie aus der Staatskanzlei zu hören war, warf Eichel gestern Amt und Würde in die Waagschale. Und nur nach quälenden Auseinandersetzungen war die Fraktion bereit, seinen Vorschlägen zur Stärkung des Kabinetts auf der sozialdemokratischen Seite zu folgen. Nicht wenige Abgeordnete wären den glücklosen Hans Eichel im Zuge der Nachbeben nach dem Lottoskandal gerne losgeworden. Doch im Superwahljahr und exakt ein Jahr vor den Landtagswahlen einen neuen Ministerpräsidenten auszudeuten, war für eine hinreichende Mehrheit in der Fraktion dann offenbar doch zu gewagt. Ohnehin mangelt es nicht nur der hessischen SPD an „charismatischen Lichtgestalten“ (Eichel) vom Schlage eines Bill Clinton.
So geschieht in Hessen, was Eichel will: Den vakant gewordenen Sessel im Finanzministerium soll der bisherige Wirtschaftsminister Ernst Welteke einnehmen. Und der bisherige Fraktionsvorsitzende Lothar Klemm darf Wirtschafts- und Verkehrsminister werden. Daß der nach dem Neonazi-Auftrieb in Fulda geschaßte Ex-Staatssekretär im Innenministerium, Christoph Kulenkampff, neuer Staatssekretär im Finanzministerium werden soll, war dann in Wiesbaden eine echte Überraschung. Und Klemm wird seinen Fraktionskollegen Matthias Kurth als Staatssekretär mit ins Wirtschaftsministerium nehmen können – alles eine Schwächung der renitenten Fraktion und eine Stärkung der Regierung Eichel. Noch offen war gegen Redaktionsschluß am späten Nachmittag, ob auch Wissenschaftsministerin Evelies Mayer gehen muß. Eichel wollte das Mayersche Ministerium mit dem Kultusministerium von Hartmut Holzapfel „verschmelzen“.
Den grünen Kabinettsmitgliedern geht es nicht an die Wäsche. Dort war ohnehin „Alltag“ angesagt, während beim Koalitionspartner SPD der Existenzkampf tobte: „Erheblich weniger Drogentote als 1992“ war die Presseerklärung aus dem Ministerium von Iris Blaul überschrieben, die gestern aus dem Fax gekrochen kam.
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