Das Durchschreiten der Talsohle

■ „Die Affäre Rue de Lourcine“ von Eugène Labiche im Thalia-Theater langweilig inszeniert

Eigentlich war der Autor in der stillen Hoffnung am Samstag ins Thalia gekommen, dort endlich wieder eine positive Überraschung zu erleben. Denn niemand schreibt gerne ununterbrochen Verrisse über ein Theater, dessen Ruf sich durch berühmte Inszenierungen noch vor wenigen Jahren zu recht und über die Landesgrenzen hinaus begründete. Aber dann ließ Guy Joosten auch dem größten Wohlwollen keine Wahl: Seine Inszenierung von Eugène Labiches „Die Affäre Rue de Lourcine“ ist ein zäh in die Länge gedehntes, keineswegs komisches und schlecht gearbeitetes Theater, das nur den Wunsch übrig läßt, er möge mit dieser Inszenierung die Talsohle seiner Arbeit am Thalia durchschritten haben.

Anstatt mit Tempo und Witz - noch vor nicht allzu langer Zeit die Spezialität des Hauses - die psychologisch beziehungsreiche Komödie temperamentvoll auf die gebotene Kürze zu beschränken, füllt er sie mit musikalischem Katzenjammer von Peter Fischer und sündteuren Ausstattungsideen (natürlich vom Ehepaar Glittenberg). Die sowohl historisch als auch psychologisch spannende Grundsituation des von Elfriede Jelinek übersetzten Stückes hinterläßt in Joostens Inszenierung gerade noch Schmauchspuren.

Zwei Männer lassen sich am Morgen nach einem Besäufnis von ihrer Gedächtnislücke und einer irrtümlich für aktuell gehaltenen Zeitungsmeldung davon überzeugen, daß sie im Vollrausch ein Kohlenmädchen ermordet und grausam verstümmelt haben. Nie kommt ihnen der Gedanke, daß diese Tat nicht von ihnen hätte begangen werden können. Lediglich die Vertuschung der sich zufällig aber eben scheinbar einstellenden Spuren liegt ihnen am Herzen.

Doch dieses Schlaglicht auf die innere Befindlichkeit der Bourgeoisie Mitte des 19. Jahrhunderts findet hier nur seinen Widerhall in freudschen Ausstattungs-Metaphern. Ein sich perspektivisch verjüngender Salon mit diversen Seitentüren, durch die Assoziationen und Personen aus dem Unterbewußten ins Licht drängen, ersetzt aber keinesfalls eine Regie, die den Geheimnissen einer klugen Komödie nachspürt.

Christoph Bantzer und Jörg Holm routinieren im komischen Fach vor sich hin und Sandra Flubacher wird auf den schmalen schauspielerischen Seitenstreifen der dumm-plärrigen Hausdame reduziert. Nur Dietmar König als Diener Justin nutzt die Narrenfreiheit zu charmanten Auftritten. Aber damit ist diese langweilige Inszenierung auch nicht mehr zu retten.

Till Briegleb