“Der bosnischen Armee viel Glück“

■ Über den Umgang mit der Vernichtung nebenan: Pazifisten und Bellizisten debattierten im Kito

“Offensichtlich ist die pazifistische Bewegung eine sehr geringe. Ich begrüße das!“ Ein wütender Claus Gelhaar, Vorsitzender des Arbeiter Samariter Bundes, schmetterte einen Satz in den Saal des Kito, für den er vor zehn Jahren noch in größte politische Turbulenzen geratern wäre. Doch die Zeiten haben sich geändert: Als Gelhaar sein Fazit einer Bosnien-Debatte am Freitag abend zog, da erntete er breite Zustimmung von gut zwei Dritteln der Anwesenden. Was sich vor zehn Jahren Friedensbewegung nannte, das ist gespalten, und zwar nachhaltig. Gelhaars Satz symbolisiert, wie tief der Graben mittlerweile ist, der sich zwischen den Fronten aufgetan hat. Und je länger sie miteiander reden und streiten, desto tiefer wird er.

„Unerträglich“ war eines der Worte, die am meisten gebraucht wurden. „Unerträglich“ war den Pazifisten, daß der Krieg auf dem Balkan einige dazu gebracht hat, in einer militärischen Intervention die Lösung zu suchen. Und „unerträglich“ war es wiederum denen, wenn die Pazifisten trotz der tagtäglichen Barbarei immer wieder von langfristigen Projekten erzählten, die die Kriegsgegner nach dem Blutvergießen wieder zueinander führen sollen: „Dann sind sie alle tot!“

„Humanitäre Bellizisten - genozidale Pazifisten“, das Kito, die taz und Radio Bremen 2 hatten eingeladen und Kurt Südmersen und Erich Rathfelder auf's Podium gesetzt, der eine beim Bund für soziale Verteidigung, der andere Ex-Jugoslawien-Korrespondent der taz. Der eine strikt gegen jede bewaffnete Einmischung in den Balkankrieg, der andere schon lange Streiter für Intervention. Im Publikum viele bekannte Gesichter: Hie eifrige AktivistInnen aus dem Friedensforum, dort Bosnien- Aktive der verschiedenen Hilfsaktionen.

Pazifismus, das heißt im Fall Bosnien: die eigene Ohnmacht aushalten. „Eine militärische Intervention hilft nicht“, sagte Kurt Südmersen. Und er reklamierte für sich die Warnungen vieler Militärs und Erfahrungen aus dem Golfkrieg, nach denen begrenzte Schläge nicht möglich seien, die restjugoslawische Armee eine Partisanenarmee sei und so hochgerüstet, daß sie noch Jahre durchhalten könne. Die Alternativen, das seien die Unterstützung und Vernetzung der Friedensgruppen auf allen Seiten, um Vertrauen wiederzugewinnen.

„Die Mechanik der Gewalt stoppen“, nannte das Südmersen. „Wer den Menschen helfen will, der muß die Fluchtwege öffnen und nicht die erschießen, die drumrum sind.“ Dazu schlug er die Verschärfung des Embargos vor, für alle Seiten, trotz der bekannten Folgen. „Ich weiß, daß das die Serben unendlich bevorzugt.“

Der Konflikt um das Embargo steht für die gesamte Diskussion. Fassungslos ist die andere Seite, wie diese Forderung angesichts eines erklärten Vernichtungskrieges erhoben werden kann. „Das heißt, Ihr liefert die Bosnier aus“, wurde Südmersen entgegengehalten. „Ihr liefert sie einem Agressor aus, dessen Ziel der Genozid ist.“

„Ich liebe diese Menschen“, beschreibt Erich Rathfelder den Ausgangspunkt seiner Gedanken. Mehr als 200.000 Menschen seien bislang in Konzentrationslagern oder durch Terroraktionen meist der serbischen Nationalisten ermordet worden. „Zwei Millionen Menschen leben mit einem Minimum an Lebensmitteln und Wärme, und sie sind vom Tode bedroht. Ich will, daß diese Menschen aus dieser Situation herauskommen.“ Angesichts dieser verzweifelten Lage müsse schnell und entschlossen gehandelt werden: Befreiung Sarajewos über den Beschuß der serbischen Artilleriestellungen und die Öffnung der Verbindung nach Zentralbosnien, die auch von der UNO blockiert werde, und die militärische Absicherung der Versorgungswege ins bosnische Hungergebiet. „Diese Menschen haben ein Recht darauf, daß wir ihnen helfen.“ Und Rathfelder warnte vor den nationalistischen Nachahmern, wenn dieser Eroberungs- und Vernichtungskrieg ohne eine Antwort der Weltgemeinschaft bleibe.

„Deutsche Soldaten in die Ukraine“, war Südmersens Antwort darauf, und der Hinweis, daß die Pazifisten nur angeschwärzt würden, damit hinterrücks die militärische Hegemonie der G7-Staaten unter deutscher Beteiligung vollendet werden könne.

Die Gräben konnten kaum tiefer sein, „das war das letzte Mal“ zogen viele ihr persönliches Fazit. Eine neue Idee war am Ende aber doch noch geboren: Wenn die Bosnier schon von allen verlassen seien, dann solle man wenigstens die Aufhebung des Embargos für sie fordern, damit sie sich selbst verteidigen können. Einer sagte: „Ich wünsche der bosnischen Armee viel Glück.“ Jochen Grabler