Anschieben und mitschieben

■ Gesichter der Gr0ßstadt: Karl Köckenberger ist langjähriger Besetzer , Betriebsratsvorsitzender, Initiator eines Kinderzirkus, Familienvater und gläubiger Christ

Karl Köckenberger ist schwer zu erreichen. Wenn er nicht gerade als Betriebsratsvorsitzender unterwegs ist, übt er entweder mit Kindern in seinem Jugendzirkus, oder er ist zu Hause „beim Malochen“. Das bedeutet, er saniert mit anderen Mitbewohnern die drei Wohnhäuser bei der Regenbogenfabrik in Kreuzberg, die er vor vierzehn Jahren mit besetzt hatte. Gewerkschafter und Hausbesetzer: Eine seltsame Mischung, die für den 38jährigen jedoch keinen Widerspruch darstellt. „Ich versuche sowohl im Betrieb als auch in meiner Lebensrauminitiative gemeinsame Rechte zu vertreten.“

1980 kam der gebürtige Franke nach Berlin oder vielmehr nach Kreuzberg. Bei Krupp lernte der sehr ruhig wirkende Mann Stahlbauschlosser, ein halbes Jahr später besetzte er mit verschiedenen Kreuzberger Gruppen mehrere leerstehende Gebäude in der Lausitzer Straße.

Bald schon begannen die BesetzerInnen in einem ehemaligen Fabrikgebäude das Kinder-, Kultur- und Nachbarschaftszentrum Regenbogenfabrik aufzubauen mit Kino und Café, Kita und Kinderkino, Fahrradwerkstatt und Tischlerei und einer Mal-, Bastel- und Kunstwerkstatt.

Die Unterstützung aus der Nachbarschaft, von Parteien und dem Bezirk Kreuzberg führte letztendlich dazu, daß die Hausgemeinschaft einen Mietvertrag erhielt. „Wir waren mit die Letzten, die einen Vertrag bekamen“, resümiert Karl Köckenberger. „Von 170 besetzten Häusern schafften das etwa die Hälfte.“

Fast parallel zum Aufbau der „Lebensrauminitiative“ verlief der berufliche Aufstieg des dreifachen Vaters zum Betriebsratsvorsitzenden bei Krupp-Stahlbau in Berlin. 1984 in die Arbeitnehmervertretung gewählt, übernahm er drei Jahre später deren Vorsitz, „aber nur, weil gleichzeitig fähige Kollegen in das Gremium gewählt wurden“.

Seine Aktivitäten in Kreuzberg habe er da nicht vor sich hergetragen. „Ein bißchen hab' ich schon ein Doppelleben geführt“, meint er und kritzelt dabei mit einem Bleistift Vierecke auf einen Zettel. Aber deshalb sei er keine gespaltene Persönlichkeit. „Ich gehe auch nicht im Anzug zum Konzernchef“, dabei sieht er an seinem blauen Hemd und seiner schwarzen Jeans hinunter.

In den sieben Jahren seines Vorsitzes hat Karl Köckenberger viel erreicht, auch wenn er versucht, seinen eigenen Anteil an den Erfolgen so weit wie möglich herunterzuspielen. So hat er beispielsweise den Verkauf des Betriebs an einen hohen Manager der Scientology Church im Sommer 1992 mit verhindert, „aber nur durch die Unterstützung von Öffentlichkeit, Presse, Belegschaft und Gewerkschaften“.

Er durchkreuzte die Pläne des Konzerns, Krupp-Berlin aus der Stadt hinauszuverlagern, „aber nur durch die gute Zusammenarbeit mit der Berliner Geschäftsführung“. Der Gewerkschafter der IG Metall wird nicht müde zu betonen, daß der Erfolg seiner Arbeit nicht von ihm abhängt. „Es geht nur, wenn andere es wollen. Manchmal zieht man, manchmal wird man gestoßen.“

Doch ganz so passiv, wie er sich in seiner Bescheidenheit darstellt, ist der Kreuzberger freilich nicht. Bestes Beispiel ist seine Arbeit für die KollegInnen in den von Schließung und Arbeitslosigkeit betroffenen Betrieben in den neuen Ländern. Er brachte Vertreter aus Betrieben verschiedener Gewerkschaften in Ost und West an einen Tisch – und das „Woche für Woche nach der Arbeit“. Diese bisher unübliche Arbeitnehmerlobby sieht er ganz pragmatisch. „Wenn's die Strukturen nicht gibt, die ich brauche, dann schaffe ich sie mir“, sagt er.

Charakteristisch für den bescheidenen Projekt- und Tatendrang des gläubigen Christen – „ich würde mich in Richtung Befreiungstheologie einordnen“ – ist ein von ihm initiierter Kinderzirkus. „Der ist durch meine Kinder entstanden“, blockt er wieder ab. Zuerst habe er David (10) und Leila (8) Einräder gekauft, um seinen vernachlässigten Vaterpflichten nachzukommen. Dann seien noch mal fünf für die Nachbarskinder dazugekommen.

Immer häufiger und immer länger seien die Geräte verliehen worden. Herausgekommen sei ein „Riesenprojekt“ in Treptow und Kreuzberg mit mehreren ABM- Stellen, das vom Arbeitsamt finanziert wird. Artisten sind dort die Betreuer, Kinder die Artisten. Von Akrobatik über Clownerie bis zur Arbeit mit Tieren ist alles dabei. In diesem Projekt sieht sich Karl Köckenberger wieder: Entstanden in seinem „Lebensraum“ Kreuzberg, in Familie und Nachbarschaft und jetzt grenz- und bezirksüberschreitend, wie sein Wirken im Betrieb. „Betrieb und Kreuzberg“, sagt das Organisationstalent, „das ist zugleich Spannung und Bereicherung.“ Martin Hörnle