Mit Prilblümchen

■ Das neue Musical des College of Hearts setzt auf niedrige Reizschwellen

Das Publikum hat sich gerade erst geräuschvoll niedergelassen, da lasten Begeisterung und Wohlwollen bereits schwer auf dem Theaterraum in der Ufa-Fabrik. Noch ist kein Ton erklungen, kein Satz gesprochen. Das Bühnenbild erinnert an ein zerlegtes Kinoplakat, die Farbe der Liebe dominiert, Herzen liegen quer über den Brettern, die die Welt bedeuten. Ein Pianist betritt die Szenerie, streift Satie und trägt, wie alle mitwirkenden Männer, Karos. Doch kaum nimmt das neue Kammermusical „Lothar ich liebe dich – oder: Vom richtigen Moment, einem Pianisten die Finger zu brechen“ seinen Lauf, da ist die Neugier dahin und die Dreiecksgeschichte da. Lothar (Christoph Swoboda), der Metzgermeister aus „Harry Stark“, liebt Lotte (Irene Rindje) und demonstriert ihr das gleich gesungen und gereimt – wir sind in einem Musical! – „Lotte ich liebe dich, ohne dich wär' alles widerlich“. Er, Mediziner und Softie mit Hormon- und Haarproblemen, ist seit acht Jahren verheiratet mit der ehemaligen Jugendzentrumsqueen, die nun ein Dasein als gelangweilte, desillusionierte Mittdreißigerin mit Galerie fristet. Damit das nicht so bleibt, betritt das lauernde Abenteuer in der Person von Florian, einem verklemmten Musikstudenten, die Szenerie – und das Publikum überschlägt sich bei der Vorstellung, was nun alles passieren kann.

Was tatsächlich geschieht, ist die Aneinanderreihung von Beziehungsklischees aus der Midlife-crisis, verpackt in Songs und Dialoge, verziert mit einigen Tanzschritten und jeder Menge Reime. Ein Musical darf Alltägliches zur Kunst erheben, soll unterhaltsam sein und muß seine Geschichte mit viel Musik und Bewegung erzählen, nicht mehr und nicht weniger. „Lothar ich liebe dich“ funktioniert nach eigenen Gesetzen.

Die amouröse Schlacht, zwischen dem an Mensaverköstigung gewöhnten Studenten und dem Yuppie mit Nouvelle-Cuisine- Know-how, um die liebeshungrige Galeristin, die Collagen zum Thema Grüner Punkt ausstellt, endet – wie könnte es anders sein – in trauter Zweisamkeit. Der Trend zum kleinen Glück im Heim ist unüberhörbar, auch wenn es zur Halbzeit noch heißt: „Gib dir 'nen Tritt, und mach's zu dritt.“

Die Musiker (Michael Merkelbach, Piano und Trompete, Christoph Zeisberg, Gitarre, Saxophon und Piano) und Darsteller Flo, der beziehungsentzweiende Tasten- Tiger, geben sich alle Mühe, Gassenhauerflair und Dreißiger-Jahre-Stimmung im Saal zu erzeugen, und leisten dabei noch den überzeugendsten Teil des Kammermusicals. Irene Rindje, ausgestattet mit einer typischen Kabarettstimme, scheitert an den Chansons; an besonders heiklen Stellen decken die Instrumentalisten dieses Manko gekonnt zu. Christoph Swoboda berauscht zwar auch nicht durch Gesangskunst, doch als er endlich rast und brüllt, läuft er zu Hochform auf: „Ich weiß nicht, ob ich mir in der Küche meine Neurosen wegkoche – aber du bist eine egozentrische Kuh.“ Wenn Lothar leidet, ist er herrlich komisch. Er sitzt zappend und saufend im Bett, berauscht von Sabine Christiansen und angewidert von sich selbst. Diese überzeugend- witzigen Momente aber kippen schnell wieder um ins Gegenteil, münden in einen Schlager, der zurückholt auf den Boden der gebastelten Beziehungsprobleme. Möglicherweise sind diese Krisen tatsächlich aus dem alternativen Alltag gegriffen, denkbar sogar, daß die eine oder andere Szene sich so abgespielt hat, unterhaltsam sind sie deshalb noch lange nicht. Worte wie Regenwald oder Scheckkarte lösen jedoch immer wieder Beifalls- und Lachstürme aus und beweisen, daß Autor Peter Lund einen siebten Sinn für die Reizschwelle seines Publikums hat. Und für dessen poetische Ader, die bei den plattesten Reimen – Liebe/bliebe – anfängt zu pochen. Da wundert's auch kaum noch, daß das mit einem Prilblümchen-geschmückten Kinderwagen ausgestattete Happy-End in Ovationen badet. Anna-Bianca Krause

Vom 28.1.–27.2. täglich (außer montags und dienstags) um 20.30 Uhr in der Ufa-Fabrik, Viktoriastraße 13, Tempelhof.