piwik no script img

■ Landleben: Eine Wohngemeinschaft der grunzenden ArtNachbar Schwein

Thüngen/Main-Spessart (taz) – In George Orwells „Farm der Tiere“ heißt es zum Schluß sinngemäß, daß da jemand von Schwein zu Mensch und von Mensch zu Schwein schaute und dann wieder von Schwein zu Mensch – und es sei kein Unterschied mehr festzustellen. Das ist fiktiv, obwohl Wissenschaftler behaupten, das Schwein sei dem Menschen biologisch und soziologisch näher als irgendwelche Affen.

In Thüngen nahe Lohr war es nun so, daß die Behörden in diesem Zusammenhang ein Haus räumen ließen. Bauer Erwin Weller hatte neben sein altes Heim ein neues gebaut, und es war zu den anderen Häusern im Dorf rein äußerlich kein Unterschied festzustellen. Doch der eingefleischte Junggeselle zog nicht selbst ein; zum Entsetzen zugereister Städter überließ er es 100 Schweinen, indem er einfach einen Durchgang zum Schweinestall baute. Die Viecher nahmen die Herausforderung an, machten aus Wohn- und Schlafzimmer eine voll funktionierende Schweine-WG. Weller selbst, der im Dorf als Original gilt, blieb im alten Haus wohnen.

Einigen Nachbarn stank und quiekte es so sehr, daß sie die Behörden alarmierten. Veterinärdirektor Franz Arand konstatierte jedoch begeistert: „So manches Schwein auf Vollspaltenböden träumt wahrscheinlich davon, sich einmal in einem richtigen Wohnzimmer suhlen zu dürfen, noch dazu auf Stroh.“ Und die Schweine haben weit mehr Platz, als das Gesetz es vorschreibt: zwei Schweine pro Qudratmeter. Es gibt jedoch noch eine andere Rechnung. Die Behörden suchten nach Räumgründen und fanden welche; schließlich war die Angelegenheit längst Chefsache im Landratsamt Karlstadt. Jedes Schwein produziert normalerweise um die zehn Kilogramm Gülle pro Tag, macht mal hundert gleich eine Tonne. Da die Gülle voller Ammoniak ist, stinkt es nicht nur, auch der Beton soll, den Behörden zufolge, darunter leiden: Die Eisenbewehrung könnte rosten und das Haus zusammenfallen. Erwin Weller selbst sieht die Angelegenheit ganz anders. Die Behörden hatten ihm 1983 den Bau mit der Auflage erlaubt, daß sich alles harmonisch in die Umgebung einordne. Deshalb sehe das Haus so aus, wie ein Haus eben aussieht. Somit werde ihm unrecht getan und versucht, ihm die Existenzgrundlage zu entziehen. „Außerdem“, schimpft Weller, „wer von der Stadt aufs Land zieht, muß eben mit solchen Gerüchen leben.“

Allerdings hatte Erwin Weller nur die Genehmigung für ein Getreidelager gehabt, nicht aber für einen Schweinestall. Das ist auch der Grund, weshalb Weller die Borstenbande jetzt auf andere Ställe verteilen muß. Ansonsten gibt es nur eine Alternative: Sein Bruder ist Metzger. Falk Madeja

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen