Witwensyndrom & Willyforschung Von Mathias Bröckers

Kaum hat das Superwahljahr angefangen, haben wir einen Super-Witwen-Wahlkampf: Wem gehört Willy? Nun ist diese Frage natürlich so wurscht wie irgend was. Der Mann ist tot, Friede seiner Asche. Ob Brandt nun eher im sozialistisch-internationalistischen oder im deutsch-patriotischen Töpfchen abgelegt werden muß, ob es zwischen einem frühen, mittleren und späten Brandt zu unterscheiden gilt, während beim frühen, mittleren und späten Wehner der immer gleiche kommunistische Stinkefinger am Werke war, ob Willy als Kanzler selbst zurücktreten wollte, dazu gedrängt oder eiskalt abserviert wurde – all dies ist angesichts der dräuenden und drängenden Schieflage der Nation von geradezu rührender Belanglosigkeit. Und doch hat's die Witwe damit zum Covergirl des Spiegel gebracht – und spätestens damit manchem SPD- Genossen klammheimliche Stoßseufzer an die altindische Methode der Witwenentsorgung entlockt.

Was die Wahrheitsfindung im Witwenfall angeht, bin ich als Feuerwehr ungeeignet: Seine Frau Rut fand ich als Erstwähler 1972 klasse – und auch die Witwe SPD, weil sie den Gesinnungs-TÜV bei der Kriegsdienstverweigerung abschaffen wollte. Also wurde Willy gewählt. Und gegen eine Flasche Sekt von einem Juso trat ich sogar in die Partei ein. Allerdings nur für ein paar Monate, denn die amtliche Gewissenskontrolle wurde auch von der SPD nicht abgeschafft. Als mich die Vorladung erreichte, schickte ich das Parteibuch mit einem bitterbösen Brief zurück. Das war's – von wegen „Visionär“ Willy. Kurz darauf wurden Lokführern und Postboten wegen marxistischer Gesinnung Berufsverbote erteilt – spätestens da unterschied sich für mich die Pfeife Brandt von einem Schnarchsack wie Kiesinger nur noch in Nuancen, abgesehen von der Vergangenheit im NS-Widerstand.

Dies, der aufrechte Gang während der braunen Jahre, war überhaupt das einzige, was mir an Onkel Willy und Onkel Herbert noch wirklich Respekt abnötigte – und noch der alte Erich, in seinem durch und durch verkorksten Stasi-Sozialismus, hob sich noch positiv ab gegen die wendehälsigen Superhumanisten von Globke über Filbinger bis Weizsäcker.

Wenn Willy also irgendwohin gehört, dann zuerst auf den antifaschistischen Sockel. Daß eine Witwe diesen zu einem Kaiser-Wilhelm-ähnlichen Denkmal ausbauen will, darf man ihr nicht verdenken – als „Elisabeth-Förster- Nietzsche-Syndrom“ sind derlei pathologische Eitelkeiten aktenkundig und kommen in den besten Familien vor. Auch damals bei den Beatles, als die böse Yoko den braven John der Partei entfremdete. Und heute? Da posiert die Witwe mit dem Feind von einst, Paul McCartney, Arm in Arm für die Reunion der guten alten Partei. Im Angesicht von zig Millionen ist Versöhnung also jederzeit möglich – und insofern auch eine Lösung des sozialdemokratischen Witwendramas: Eine Brandt-Wehner-Stiftung unter dem Vorsitz der Berufswitwe Seebacher ist nur eine Frage der Dotierung – und wo's schon ein Goethe-Schiller-Denkmal gibt, da sollte auch ein Willy-Herbert-Mausoleum möglich sein. Und die historisch-kritische Parallelausgabe der Tagebücher und Nachttischnotizen. Damit diese fiese Parole endlich aus der Welt ist: Wer hat uns zuwenig verraten – Sozialdemokraten.