Unterm Strich

Wenn man vom Teufel spricht: Gestern abend saß man noch beim Bier zusammen und beklagte die scheinbare Willkür, mit der Figuren wie Mike Kelly oder Damien Hirst auf der Bildfläche des Kunstmarktes auftauchen, und andere Alt-Pop-Artisten wie Claes Oldenburg in der Versenkung verschwinden. Heute morgen dann noch schlaftrunken am Ticker – plötzlich eine Überschrift von dpa erheischend und dann hellwach, in der Gewißheit, daß es sich um keinen Nachruf handelt, die Zeile zu Ende lesend – Verfremdung in Überlebensgröße: Claes Oldenburg wird 65. Glückwunsch!

Während Oldenburgs zur documenta VII in die Kasselaner Fulda-Auen geworfene Spitzhacke noch gut in Erinnerung ist, bleibt man sich in Hamburg-Harburg über das zukünftige Schicksal einer Arbeit von Esther und Jochen Gerz im unklaren. 1986 hatte das Ehepaar ihr „Mahnmal gegen Faschismus, Krieg und Gewalt – für Frieden und Menschenrechte“ aufgestellt. Nachdem eine Vielzahl von Bürgern sich darauf mit ihrer Unterschrift verewigt hatten, wurde die kollektive Bestandsaufnahme im November des vergangenen Jahres in einem unterirdischen Schacht versenkt. Damit die Diskussion um Rechtsextremismus nicht mit in den Tiefen der Harburger Naturpark-Erde verschwindet, hat Gerz nun ein weiteres Zeichen gesetzt: Für die 19. Ausgabe der Werkreihe Signatur des Verlages Rommerskirchen reflektiert der 53jährige den Entstehungsprozeß seiner Arbeit in einem interpunktionslosen, unaufhaltsamen Wörterfluß, dem LeserInnen immerhin entnehmen können, daß es Gerz nicht darum geht, „daß die Leute meine Sachen gut finden sondern daß sie angesichts meiner Arbeit sich selbst sehen sich mit sich selbst beschäftigen und identifizieren“. Bleibt noch nachzutragen, daß sie vor allem nicht auf den Preis schauen sollten: Im Abonnement kostet Signatur überaus monumentale 248 DM.

Sehr viel beschaulicher, zwischen Meer und Bodden auf der mecklenburg-vorpommerischen Halbinsel Fischland/Darß gelegen, gibt sich die Künstlerkolonie Ahrenshoop. Um die Jahrhundertwende waren „einst Maler aus allen deutschen Landen“ (dpa) in das heutige Landschaftsschutzgebiet gezogen. Doch die Boheme im Klein- Worpswede an der Ostsee verschwand bereits nach dem Ersten Weltkrieg wieder, als das gewiefte „Fischerdörfchen“ den Frem

denverkehr als „reichlicher sprudelnde Einnahmequelle“ entdeckte. Doch wer fährt heute schon noch (wenn nicht vom Müttergenesungswerk zwangsverschickt) zu Erholungszwecken in ein Ostsee-Kaff unweit von Rostock, wo es selbst taz-RedakteurInnen an die Elfenbeinküste zieht? Das wird auch die vermutlich zugereiste Gerlinde Creutzburg geahnt haben, als sie das Kunsthaus der Bildhauerin Hertha von Guttenberg übernahm. Flugs erklärte die Projektleiterin das Gebäude zur Begegnungsstätte für zeitgenössische Kunst der norddeutschen Region. Nun sollen Ausstellungen folgen: „Wintergäste“ heißt in freudiger Erwartung die erste Schau mit Malerei, Graphik und Skulpturen. Die Ahrenshooper hoffen, daß sich mit der Neueröffnung wie vor hundert Jahren wieder zahlreiche Maler, Bildhauer und andere Künstler unter die Einheimischen mischen.

Den touristisch-kulturellen side-effect hätte man auch einfacher haben können, wie eine Wiener Studie anhand von Espresso-Bars bestätigt, die inzwischen zum festen Bestandteil italienischer Alltagskultur gehören. Wir zitieren im Original-Ton: „Metallener Glanz, kühle und zugleich anheimelnde Atmosphäre, höfliches Personal, Publikum aller sozialen Schichten und, natürlich, der Duft von Caffé: Für Menschen aus fast aller Welt sind sie längst zu einem Wahrzeichen Italiens geworden – die italienischen Caffé-Bars. Und sie finden auch längst – ähnlich wie Italiens Pizza – Verbreitung in anderen Ländern, wobei sich allerdings zeigt, daß die Espresso-Maschine zu einer geglückten Nachahmung nicht ausreicht.“ Eine dieser wunderbaren Kopien, die das Original schon fast übertrifft, befindet sich im Londoner Yuppie-Westend. Der Laden wird von einem Exil-Italiener und begeisterten Box-Fan geleitet, in einer Ecke laufen ununterbrochen Best-of-Compilations legendärer Faustkämpfe mit MTV-Clips und Game-Shows auf RAI Uno im Wechsel, zum Caffé gibt es wahnwitzig süße, glibberige und trotzdem leckere Küchelchen.

Einen weniger guten Ruf genießt die Küche der im südlichen China gelegenen Provinz Kanton, über die Christoph Peck in seinem beim Ceres-Verlag erschienen Buch schreibt: „Kantonesen essen alles mit vier Beinen – außer Tischen.“ Wir klopfen uns kurz auf die Schenkel und stellen betroffen fest, daß man etwa Reisschleim auch bei einem ganz in der Nähe gelegenen italienischen Spezialitäten-Restaurant, dessen Namen wir hier nicht weiter erwähnen möchten, als Hauptgericht vorgesetzt bekommt. Allerdings hat die Pampe dort einen sehr viel wohlklingenderen Namen.

Apropos Pampe: Tom Coraghessan Boyle hat ein Buch über John Harvey Kellogg geschrieben – „Willkommen in Wellville“. Der amerikanische Gesundheitsapostel gilt neben den hahnenschreibebilderten Cornflakes auch als Erfinder von Erdnußbutter und einem magenschonenden Getreidekaffee.