Short Stories from America
: Auf keinen Fall in Fleischgefriertruhen

■ Bedürftige US-Reiche? Es könnte an den verwirrenden Gesetzen zur Regelung des Geschlechtsverkehrs liegen

Jedes Jahr vor Weihnachten veranstaltet die New York Times ihre Kampagne für die „Bedürftigsten“, tägliche Geschichten über verarmte Frauen ohne Essen, Einkommen oder Lebensversicherung, denen ein wohltätiges Geschick die Wohnung gerade zu dieser Jahreszeit abbrennen ließ, wenn sich die Zeitungen ihrer annehmen. Diese Geschichten lese ich voll gläubiger Inbrunst – gläubig, weil ich überzeugt bin, daß man zu dieser Jahreszeit einer Erinnerung an den Herrn bedarf, und eine Chronik menschlichen Elends scheint mir der passende Hinweis auf Seine Taten. Wenn Leser das zynisch finden sollten, bitte ich um Entschuldigung. Immerhin ist es besser, als die Nachrufe zu lesen.

Hinter der Times-Kampagne steht die Vorstellung, man sollte Mitleid für die Bedürftigsten empfinden und Geld für sie spenden. (Nachrufe lesen ist billiger.) Und sie tun mir auch wirklich leid: Ich habe versucht herauszufinden, was eigentlich während des Rests des Jahres mit ihnen passiert. Dabei begegnet mir regelmäßig so viel Mißtrauen („Warum wollen Sie das wissen? Wer sind Sie überhaupt, sind Sie von der Presse?“), daß ich es aufgegeben habe. Und dann habe ich beschlossen, mich der bedürftigsten Reichen anzunehmen.

Da ist erst einmal Lady Di, aber die tut ja einfach jedem leid. Dann gibt es Marla Maples, die in diesem Monat Donald Trump geheiratet hat. Sie braucht mir genauso wenig leid zu tun, wie mir Di leid tun mußte, als sie heiratete. Deshalb dachte ich mir, diesmal fange ich früher an. Als nächste auf meiner Liste stehen Zoe Baird und Kimba Wood. Beide wurden von der Kandidatenliste als Justizministerin der Vereinigten Staaten gestrichen, weil sie keine Versicherungsabgaben für ihre Babysitter abgeführt hatten. Aber nicht deshalb tun sie mir leid. Justizministerin ist ein scheußlicher Job, und die Frau, die ihn dann tatsächlich gekriegt hat, Janet Reno, besitzt meine volle Sympathie. Baird und Wood tun mir leid, weil Bobby Ray Inman, Clintons erste Wahl als Verteidigungsminister, für sein Hausmädchen auch keine Abgaben abgeführt hatte, und er wurde nicht gestrichen. Als er für den Posten nominiert wurde, zahlte er schnell die Abgaben nach, aber das hatte Zoe Baird auch getan. Und als Kimba Wood Mitte der achtziger Jahre diese Abgaben nicht bezahlt hatte, war sie dazu auch noch gar nicht verpflichtet. Kurz: sie hatte nichts Illegales getan, Inman schon, aber sie wurde von der Liste gestrichen und Inman nicht. Manche Leute behaupten, das hätte etwas mit dem Geschlecht zu tun. Quatsch. Es hat damit zu tun, wen man in Washington kennt. Manche Leute behaupten, das hätte auch etwas mit dem Gechlecht zu tun, aber das kann gar nicht sein. Wenn es etwas mit dem Geschlecht zu tun hätte, wen man kennt, dann hätte alles etwas mit dem Geschlecht zu tun.

Die nächste auf meiner Liste der bedürftigsten Reichen ist die Ärztin Jocelyn Elders wegen ihrer Äußerung, die Entkriminalisierung der Drogen werde sich positiv auf die Drogengewaltkriminalität auswirken, und man sollte das doch mindestens mal genauer prüfen. Sofort haben die Leute, die man in Washington kennen muß, sie fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Dann nahm die Polizei ihren Sohn wegen Kokain hoch. Manche Leute weisen darauf hin, daß viele Amerikaner Kokain nehmen und sogar verkaufen, und sie hegen deshalb den Verdacht, der Sohn von Elders sei wegen ihrer Entkriminalisierungsäußerung verhaftet worden. Aber das würde ja eine Verschwörung gegen sie bedeuten, und Kabale kommen in Washington nicht vor. Jedenfalls nicht mehr seit Watergate. Oder seit Irakgate oder seit Irangate, oder mindestens, seit Clintons Freund, der Kongreßabgeordnete Daniel Rostenkowski, vor ein paar Wochen wegen Betrugs vor Gericht gestellt wurde.

Last not least auf meiner Liste der bedürftigsten Reichen steht Hillary Clinton – nicht weil ihre Pläne zur Krankenversicherung so viele Federn haben lassen müssen, und auch nicht wegen ihres neuen Haarschnitts, der mir vorkommt wie eine Kreuzung von Nancy Reagan und K.D. Lang. Hillary tut mir leid, weil mal wieder zu lesen war, daß Bill in seiner Zeit als Gouverneur von Arkansas Geheimdienstleute eingesetzt hat, um seine außerehelichen Seitensprünge zu vertuschen. Da möchte ich doch mal erzählen, was ich täte, wenn mein Freund Unsinn triebe. Dann riefe ich meine sechs besten Freundinnen an, und dann gingen wir zum Friseur und machten zwischen Shampoo und Trockenhaube in voller Lautstärke publik, was der Hurensohn für eine miese Ratte ist. Könnte Hillary sowas tun? Nein. Das arme Ding muß sich vor die Fernsehkameras stellen und den Saukerl verteidigen. Ich verstehe gar nicht, warum. Sie bekäme von den amerikanischen Frauen – 53 Prozent der Wählerstimmen – viel mehr Unterstützung, wenn sie mit ihren Freundinnen zum Friseur ginge.

Aber so läuft das nun mal in einem Land, das in Sexfragen so durcheinander ist wie Amerika – in einem Land, wo ein Gesetz zum Beispiel Frauen verbieten kann, mit Männern in einer Ambulanz zu schlafen. Tut das eine Frau in Tremonton, Utah, wird sie wegen sexuellen Fehlverhaltens angeklagt, und „ihr Name soll in der örtlichen Zeitung veröffentlicht werden“. Der Mann wird nicht angeklagt, sein Name bleibt ungenannt. Und diese Doppelmoral gilt auch für Hillarys Demütigung. Wenn Leser protestieren wollen, Tremonton, Utah, sei nicht repräsentativ für das ganze Land, dann mögen sie sich die folgenden Beispiele aus dem Rest des Landes zu Gemüte führen.

In Connorsville, Wisconsin, darf ein Mann keinen Revolver abschießen, wenn seine Partnerin einen Orgasmus hat. In Willowdale, Oregon, verstößt es gegen das Gesetz, wenn ein Ehemann während des Geschlechtsverkehrs flucht. In Oblong, Illinois, ist es laut Gesetz strafbar, beim Jagen oder Fischen an seinem Hochzeitstag den Beischlaf zu praktizieren. Ehemänner in Ames, Iowa, dürfen nach dem Geschlechtsakt im Bett nicht mehr als drei Schluck Bier trinken. Bozeman, Montana, verbietet alle Sexualakte zwischen Partnern verschiedenen Geschlechts in den Vorgärten nach Sonnenuntergang. Newcastle, Wyoming, verbietet den Geschlechtsverkehr in kommerziellen, begehbaren Fleischgefriertruhen. Hotels in Sioux Falls, South Dakota, müssen in jedem Doppelzimmer zwischen den Betten einen Mindestabstand von einem halben Meter einhalten. Es ist nicht erlaubt, auf dem Fußboden zwischen den Betten miteinander zu schlafen. Hotels in Hastings, Nebraska, müssen jedem Gast ein sauberes gebügeltes Nachthemd zur Verfügung stellen, denn kein Paar, verheiratet oder nicht, darf nackt zusammen schlafen oder sich den Freuden der Sexualität hingeben. Frauen in Cleveland, Ohio, dürfen keine Glanzlederschuhe tragen, weil Männer sonst darin etwas gespiegelt sehen könnten, was sie „nicht sehen sollten“.

Daran sollten Sie sich stets erinnern, damit das kommende Jahr fröhlich und angenehm wird. Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning