Zweischneidiger Sieg für Frauen

Oberstes Gericht in Washington: Militante AbtreibungsgegnerInnen können künftig wegen Verstoßes gegen ein Gesetz zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens angeklagt werden  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Vor einem Jahr waren sie noch zahlreich versammelt gewesen – rund siebzigtausend AbtreibungsgegnerInnen hatten im Januar 1993 vor dem Weißen Haus gegen den Amtsantritt Bill und Hillary Clintons demonstriert. Vergangene Woche fielen ihre groß angekündigten Protestaktionen in der US-Hauptstadt arktischen Temperaturen zum Opfer. Und nun bläst ihnen auch der Wind aus dem Obersten Gerichtshof eisig ins Gesicht.

Denn am Montag gaben die neuen höchsten RichterInnen Frauenorganisationen und gynäkologischen Kliniken eine rechtliche Abwehrstrategie zur Hand, die für die selbstdeklarierten LebensschützerInnen ausgemacht teuer werden könnte. Einstimmig entschied das Gericht, daß in Zukunft gegen TeilnehmerInnen und InitiatorInnen von Klinikblockaden sowie Aktionen gegen das Personal auch nach dem „Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act“ (Rico), einem Gesetz zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens aus dem Jahre 1970, Anklage erhoben werden kann.

Nach diesem Gesetz macht sich strafbar, wer die Interessen und Ziele „eines Unternehmens“ durch ein erkennbares Muster von Straftaten verfolgt. Nach dem Rico-Gesetz kann verklagt werden, wem mindestens zwei Tatbestände nachzuweisen sind, die entweder gegen Gesetze des Bundes oder der Einzelstaaten verstoßen. Das Motiv, so entschied der Oberste Gerichtshof am Montag einstimmig, muß dabei nicht, wie bei der Mafia, ökonomisch, sondern kann auch religiös oder politisch begründet sein. Straf- und zivilrechtlich ist nicht nur belangbar, wer die Taten ausführt, sondern auch wer sie plant oder anstiftet.

Als unmittelbare juristische Konsequenz dieser Entscheidung muß nun ein US-Gericht in Chicago den Prozeß gegen mehrere Führer der größten Antiabtreibungsorganisationen weiterführen – darunter der ehemalige Gebrauchtwagenhändler Randall Terry und seine „Operation Rescue“ sowie Joseph Scheidler und seine „Pro-Life Action League“. Die „National Organization For Women“ (NOW), die größte Frauenrechtsorganisation in den USA, hatte gegen Terry, Scheidler und andere unter Berufung auf Rico eine Zivilklage eingereicht. Begründung: Die „Lebensschützer“ hätten sich zu einer landesweiten Kampagne zusammengeschlossen, um mit kriminellen Handlungen wie Sachbeschädigung, Erpressung oder Brandstiftung die Schließung von Kliniken zu erzwingen, in denen Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden.

Der Betrieb solcher Kliniken war in einigen US-Bundesstaaten in den letzten Jahren fast völlig lahmgelegt worden – mit Methoden, die Terry unter Berufung auf die Bürgerrechtsbewegung als „zivilen Ungehorsam“ bezeichnet, von Frauenorganisationen aber als organisierter Terror angesehen werden: Kliniken wurden wochenlang durch Menschenketten blockiert, Patientinnen ausgesperrt, ÄrztInnen auf „Fahndungsfotos“ mit Namen, Adressen und Telefonnummern als „Babykiller“ denunziert. Nach zahlreichen Brand- und Bombenanschlägen gleichen viele Kliniken heute Festungen.

Fanatiker werden auch durch die jüngste Entscheidung des Gerichtshofs nicht abzuschrecken sein – selbst wenn nach dem Rico- Gesetz das Strafmaß noch einmal um zwanzig Jahre erhöht werden kann. Doch Organisationen wie „Operation Rescue“ befürchten, vermutlich zu Recht, daß sich immer weniger TeilnehmerInnen für Klinikblockaden finden lassen.

Sosehr das jüngste Urteil von Frauenorganisationen auch bejubelt wurde, so schnell könnte es sich am Ende als zweischneidig erweisen. Denn in einem könnte Terry mit seiner höchst PR-wirksamen Verehrung der Bürgerrechtsbewegung recht haben: Die Entscheidung gilt natürlich nicht allein für AbtreibungsgegnerInnen. Sie läßt sich ebenso auf manche Aktionen von Aids-AktivistInnen, AKW-GegnerInnen oder TierschützerInnen anwenden.