Behinderten-Roulette beim HVV

■ Kinderwagen und Rollstühle müssen weiterhin warten

Immer mehr Hamburger Eltern fahren Auto: Sie haben keine Lust, sich mit Kinderwagen durch Hamburgs öffentliche Verkehrsmittel zu quälen. Hamburg zählt immer mehr RollstuhlfahrerInnen, heute schon mehr als 10.000. Hamburgs alteingesessene Transportbehörde, die Hamburger Hochbahn AG (HHA), läßt das nicht ruhen. Mit unablässigem Einsatz und hohen Investitionen bemüht sich die HHA um ein besseres Angebot.

Besonders gut meinen es die Bau- und Beschaffungstrupps der HHA gegenwärtig mit Kinderwagen-Eltern und RollstuhlfahrerInnen. Eine Vielzahl von U- und S-Bahnhöfen erhält Fahrstühle und teilweise erhöhte Bahnsteigkanten, die einen fast stufenlosen Einstieg ermöglichen. Damit nicht genug: Der Busbestand wird nach und nach auf die einstiegsfreundlichen Niederflurbusse umgestellt. Nicht wenige dieser Busse erhalten für 50.000 DM eine ausfahrbare Rampe, mit der problemloses Einrollen gewährleistet ist.

Bei den neu Begünstigten will sich freilich die große Freude noch nicht so recht einstellen. Die Einführung der neuen Segnungen wirkt nämlich, trotz beratender Beteiligung von Behindertenverbänden, chaotisch und unüberlegt. Ein abgestimmtes System von modernisierten Haltestellen und Niederflurbuslinien suchen die KundInnen bislang jedenfalls vergebens.

So setzt die HHA ihre teuren Niederflurbusse mit Spezialausrüstung (Rampe, absenkbarer Boden) bislang nur auf weniger als einem Fünftel ihres Liniennetzes ein. Die Innenstadt beispielsweise wird nicht angefahren. HHA-Begründung: „Dort wohnen keine Behinderte.“ Anders als in Bremen, wo die Behindertenverbände eine von Beginn an flächendeckende Konzeption durchsetzten, favorisiert die HHA Insellösungen. Dies gilt auch für den Umbau der Bahnhöfe: So werden derzeit sieben mit Millionenaufwand rollstuhlgerecht ausgebaute U-Bahnstationen (Baumwall, Messehallen, Lutterothstraße, Wartenau, Mümmelmannsberg, Steinfurther Allee) nicht von Niederflurbuslinien angefahren.

Erstaunlich auch, daß der HVV bis heute darauf verzichtet, seine für Gehbehinderte, Kinderwagen, Einkaufswagen und RollstuhlfahrerInnen gleichermaßen nützlichen Verbesserungen in den allgemeinen Fahrplänen bekannt zu geben. Schon heute wäre es z.B. ohne Schwierigkeiten möglich, nicht nur Linien und Bahnhöfe, sondern auch die Abfahrtszeiten behindertengerechter Busse besonders zu kennzeichnen, wie es Bremen erfolgreich vormacht. Der HVV lehnt dieses Ansinnen strikt ab. Der Einsatz der Niederflurbusse folge betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten. Der von Computern optimierte Fahrzeugumlauf würde durch die Festlegung von Niederflurbussen auf bestimmte Abfahrtszeiten ein bisserl weniger flexibel, sprich teurer. Ein seltsamer Widerspruch: Da investiert die HHA viele Millionen in Bahnhöfe und Busse, unterläßt aber fast alles, um die Zielgruppe in den tatsächlichen Genuß einer besseren Mobilität kommen zu lassen.

In dieses Bild paßt die Planung der HHA, auch die nächste Generation von Schnellbussen ohne Platz für Kinderwagen und Rollstühle zu lassen. Typisch auch die HHA-Dienstanweisung, die Busrampe nur für Rollstühle, nicht aber für Kinderwagen einzusetzen. Offenkundig sieht die HHA Kinderwagen und Rollstühle nach wie vor als Betriebshindernis. Für die Betroffenen bleibt es beim ÖPNV-Roulette. Die HHA aber hat Trost bereit: In „fünf bis sechs Jahren“ sei der gesamte Busbestand auf Niederflurtechnik umgestellt.

Florian Marten