Lernen auf dem Pferd

■ Reittherapie für „verhaltensauffällige“ Cowboys in Obervieland / Vertrauen lernen

Das Pony mit dem graubraunen Winterpelz trabt im Kreis durch die kühle Reithalle. Uta Mallach, Sonderschulpädagogin und Reittherapeutin, läßt es an der Longe laufen. Auf dem schaukelnden Rücken des Ponys liegt der neunjährige Tim (Namen geändert), weit nach hinten gebeugt. Entspannt läßt er sich, Rücken an Rücken, von dem Pony namens Minnie tragen. „Konzentrationsübung“ heißt das, was der Junge und das Pony gerade zeigen. In der Reittherapie ist es möglich, Konzentration und Vertrauen spielerisch auszuprobieren. Konzentration heißt hier nicht: stillsitzen müssen in einem sterilen Klassenzimmer, sondern sich der Bewegung des Pferdes überlassen können, für einen Moment zur Ruhe kommen. Die Reittherapie ist hier eine konkrete Übung in sozialem Lernen.

In der Halle ist es ganz still. Die drei anderen Jungen von der Sonderschule Fritz-Gansberg in Schwachhausen beobachten gespannt von ihrem Eckplatz das Geschehen. Es fällt ihnen sichtlich schwer, ihren Bewegungsdrang zu dämpfen. Jeder will eigentlich immer an der Reihe sein – und außerdem der erste und der beste. Und sie halten durch. „Vielleicht möchtest du mal die Mühle ausprobieren?“ schlägt die Sozialpädagogin Elisabeth Schumacher dem achtjährigen Bernd vor und zeigt ihm die schematische Darstellung auf dem fotokopierten Blatt. Er greift diesen Vorschlag begeistert auf. Sie und die anderen Mitschüler, die schon öfter in der Reithalle gewesen sind, geben ihm Hilfestellung.

In der Mitte der Halle reiten Thomas (11) und Markus (9) inzwischen zu zweit auf dem Therapie- Pony. Was sie machen, sieht eher nach Zirkusakrobatik aus – nicht wie etwas, was sich Uneingeweihte unter Hippo-Therapie für sogenannte verhaltensauffällige Kinder vorstellen würden. Markus kniet hinter Thomas und breitet weit die Arme aus. Nach der erfolgreich absolvierten Übung bekommt das Pony liebevoll den Hals geklopft. Erst dann ist der nächste an der Reihe.

Die Kinder und das Pony sind gut miteinander vertraut. Einmal in der Woche fahren die Sonderschüler, begleitet von den beiden Pädagoginnen, zum Reiten und Voltigieren nach Obervieland. Die Reittherapie ist Teil ihres Unterrichts. Mädchen sind nicht dabei, weil die Fritz-Gansberg-Schule mittlerweile eine reine Jungenschule geworden ist.

Das Sportreferat beim Bildungsressort trägt die Kosten für den ungewöhnlichen Unterricht. Uta Mallach bietet die Reittherapie schon seit 1986 an. Ihr macht diese Arbeit viel Freude: „Ohne Schulmuffeligkeit können die Kinder mit den Pferden ganz andere Erfahrungen machen. Sie lernen, sich etwas zuzutrauen – aber auch auf andere Kinder und die Tiere Rücksicht zu nehmen.“

Am schwierigsten sei für die oft unruhigen Schüler das Durchhalten und Abwarten zwischen den Übungen. Daß die Pferde unter dieser Ungeduld leiden müssen, komme aber so gut wie nie vor. Nur zweimal in acht Jahren hat sie es erlebt, daß ein Kind seinen Zorn am Pferd ausließ. „Im Gegenteil“, meint sie „die Kinder, die alle emotional bedürftig sind, suchen und finden Zuwendung in dieser Nähe zu den Tieren.“ Ganz offensichtlich macht es den acht- bis elfjährigen großen Spaß, auch ihren Wagemut auszutesten.

Als das Pony sich erschreckt und plötzlich in ein anderes Tempo wechselt, hält sich Patrick sicher auf dem sattellosen Pferderücken und reitet weiter als wäre nichts gewesen. Ein Rezept gegen Schulmüdigkeit ist die Reittherapie mit Sicherheit. „Die Probleme der Kinder haben ihre Ursache nicht nur in der Familie“, meint die Sonderpädagogin „viele sind auch schulgeschädigt. Durch die Arbeit mit den Pferden fällt es ihnen leichter, sich auch wieder etwas sagen zu lassen.“

sl