Wer war Fleischle?

■ Ein Spion, der aus der Teeküche kam

Gerhard Fleischle, leitender Redakteur des Deutschlandfunks, ist unter dem Verdacht nachrichtendienstlicher Tätigkeit für die DDR verhaftet worden. Ausgerechnet der Politikchef des Kölner Senders, der am Vorabend und vor Mitternacht die Ereignisse des Tages Revue passieren ließ, spionierte für Mielke und Wolf – ein trojanisches Pferd Ost-Berlins im westdeutschen „Frontsender“, wie manche den gesamtdeutschen Sendeauftrag für die „Brüder und Schwestern in der SBZ“ hörten und verstanden.

Der Fall ist keine Überraschung – und auch kein Rundfunkskandal, wie jetzt zu lesen ist. Was soll Herr Fleischle der Stasi schon verraten haben, außer Dönekes aus der Teeküche und Flurgespräche der Kollegen? Also bloß keine Spionagehysterie, selbst wenn bei Deutschlandfunk und Deutscher Welle weitere Enthüllungen anstehen. Die Botengänger des Kalten Krieges waren lächerliche Figuren, der Informationswert ihrer Kassiber dürfte gleich null gewesen sein.

Das Problem, das Herr Fleischle aufdeckt, ist ein anderes: Kölner Journalistenkollegen schildern ihn als völlig farb- und meinungslos. Weder über den Sender noch intern sei ihm jemals etwas über die Lippen gekommen, das bemerkens- und erinnernswert gewesen wäre. Mit dem Erstellen der Dienstpläne und der Moderation seiner beiden konventionellen Sendungen sei er völlig ausgelastet, ja überfordert gewesen. War das die Tarnkappe des vielbeschäftigten Spions? Wohl kaum. Vielmehr entspricht die Schilderung dem habituellen und intellektuellen Mittelmaß, das in vielen Sendeanstalten des Rundfunks – öffentlich-rechtlich wie privat – anzutreffen ist, als Frucht eines Parteienproporzes ebenso wie als Resultat einer Negativauslese, die graue Mäuse in der Hierarchie katapultiert. Diese Meisterspione kamen nicht aus der Kälte – weder geheim- noch nachrichtendienstlich –, sondern aus der bräsigen Gemütlichkeit bürokratischer Rundfunkarbeit.

Der Deutschlandfunk – als westlicher Pfeiler des neuen, mit DS-Kultur und Rias Berlin gebildeten DeutschlandRadios – hat Wichtigeres vor als die Bewältigung unappetitlicher Episoden des Kalten Krieges. Der „Skandal Deutschlandfunk“ besteht höchstens darin, daß Repräsentanten der Harmlosigkeit und Ausgewogenheit wie Herr Fleischle jahrelang „Programm machen“ konnten, ohne daß dies im Sender und in der Öffentlichkeit Anstoß erregte und zu anderweitiger Verwendung führte, zum Beispiel beim Verfassungsschutz oder im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Fleischle und Co. haben Tausende guter Ideen niedergebügelt, Innovationsgeist wegrationalisiert und fähige Journalistinnen und Journalisten zur Verzweiflung gebracht. Mit der Gründung des DeutschlandRadios hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine unerwartete, letzte Chance bekommen, es künftig besser zu machen: als neugierige, experimentierfreudige, parteiferne und journalistisch kompetente Rundfunkanstalt für ganz Deutschland – und für die Zeit „nach dem Fernsehen“. Claus Leggewie

Professor für Politikwissenschaft und Vertreter des Landes Hessen im Hörfunkrat des DeutschlandRadios