: Der Anti-Mafia Blick
Ein Gespräch mit der italienischen Schauspielerin Carla Gravina, Hauptdarstellerin in Margarethe von Trottas „Zeit des Zorns“, über Mafia-Frauen und Hollywood-Connections ■ Von Christiane Peitz
taz: Bei der Entstehung des Films waren Sie von Anfang an dabei. Wie kam das zustande?
Carla Gravina: Das erste Treffen mit Felice Laudadio gab es direkt nach der Ermordung an Richter Giovanni Falcone, wir standen noch unter Schock und unter dem unmittelbaren Einfluß der Erschütterungen und Aufregungen nach diesem Mord. Mir war schon früher gelegentlich durch den Kopf gegangen, daß zwar ungeheuer viel über die Mafia geredet wird, aber nie oder jedenfalls nie ausführlich über die Frauen. Welche Probleme haben Frauen an der Seite von Männern wie Falcone, die ja das Risiko mit ihnen teilen? Was heißt es, wenn die Frauen der Mafiosi entscheiden, daß sie das Schweigen brechen?
Hatten Sie denn Kontakt zu Frauen wie Giovanna Terranova, der Witwe des 1979 ermordeten sizilianischen Richters Cesare Terranova und zu der von ihr gegründeten „Associazione delle donne siciliane contro la mafia“?
Ich habe ihre Geschichten verfolgt und viel über sie in der Zeitung gelesen. Ich bewundere sie sehr. Persönlich habe ich die Frauen erst bei der Premiere von „Zeit des Zorns“ in Palermo kennengelernt. Giovanna Terranova machte mir danach eins der schönsten Komplimente, die ich je bekommen habe. Sie sagte, ich hätte den Anti-Mafia-Blick.
In Italien lief der Film nur sehr kurz in den Kinos. Gab es so etwas wie einen Boykott von Seiten der Mafia?
Das weiß ich selbst nicht genau. Natürlich hat es mit den üblichen Vertriebsproblemen zu tun und damit, daß ein Film, der nicht „Jurassic Parc“ heißt und nicht sofort Kasse macht, schnell aus den Kinos wieder verschwindet. Ich hatte eine Vorstellung mit normalem zahlenden Publikum besucht, die Leute waren sehr bewegt und angetan. Aber im Grunde bekam das italienische Publikum keine Chance, den Film zu sehen.
Es ist schon möglich, daß es einen unterschwelligen politischen Boykott gab. Denn der Film nimmt einiges vorweg, das erst jetzt in Italien geschieht und öffentlich wird, wie zum Beispiel die Geschichte mit dem Waffenhandel oder den Verbindungen der Mafia zu führenden Politikern. Jetzt redet alle Welt über die Schmiergeldaffaire; das Fernsehen und die Massenmedien berichten, und der Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen ist ein öffentliches Thema. Es wird geschrieben, andere Filme werden gedreht.
Hätten Sie selbst den Mut wie Carla im Film?
Ich denke schon. Nicht nur wegen meines ausgeprägten Gerechtigkeitssinns, sondern weil es in Italien jetzt ohnehin an der Zeit ist, Verantwortung zu übernehmen und zu reagieren. Carla reagiert vielleicht nicht gerade besonders rational, sondern eher instinktiv und bezahlt mit ihrem Leben dafür, aber sie macht einen Anfang, setzt ein Zeichen.
Wie hat das Publikum bei der Premiere in Palermo reagiert?
Die Premiere in Palermo war etwas Besonderes. Im Publikum saßen viele Witwen der Mafia-Opfer, Staatsanwälte, lauter betroffene Personen. Das Kinogebäude selbst war bereits zweimal von der Mafia in Brand gesteckt worden, weil sein Besitzer sich geweigert hatte, Schutzgelder zu zahlen. Wir hatten also Angst, dieses Kino überhaupt zu betreten. Aber es war ein bewegender Abend, der von den Emotionen der Frauen lebte. Am Ende der Vorführung standen sie alle auf der Bühne. Es war nicht gerade leicht, ihnen nach diesem Film Fragen zu stellen, der praktisch ihre Geschichte erzählt.
Der Film hat ja einen pessimistischen Schluß. Carla ergreift die Initiative und wird erschossen.
Es ist nicht unbedingt ein pessimistisches Ende. Gut, sie wird ermordet, aber wegen ihrer Initiative melden sich andere Frauen zu Wort und gehen an die Öffenlichkeit. Die Botschaft lautet ja nicht: Es hat keinen Sinn, etwas zu tun. Es ist bloß so, daß Carlas Art, sich auf eigene Faust gegen eine so große Macht wie die Mafia zu wehren, zum Scheitern verurteilt ist.
Wie erklären Sie sich, daß ausgerechnet eine Nicht-Italienerin wie Margarethe von Trotta sich mit diesem ja sehr nationalen Thema ihrer Wahlheimat befaßt hat?
Margarethe von Trotta wurde in Italien dafür kritisiert, daß sie sich als Ausländerin in innere Angelegenheiten einmischt. Das ist Unsinn. Es ist kein Film über die Mafia, es ist das Portrait einer Frau, deren Mann im Kampf gegen die Mafia sein Leben aufs Spiel setzt. Die Geschichte könnte auch in einem anderen Land spielen.
Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Rollen aus? Sie drehen ja relativ wenig Filme.
Weil ich viel Theater spiele. Vor allem in den letzten Jahren treffe ich meine Wahl im Grunde entsprechend meiner momentanen Gemütsverfassung. Das gilt für das Theater; beim Film habe ich diese Möglichkeit nicht, denn ich bekomme wenig Angebote. Von Wählen kann da gar kein Rede sein. In Italien gelten Schauspieler nicht besonders viel, und im italienischen Kino gibt es ohnehin kaum noch nennenswerte Frauenrollen, schon gar nicht für Frauen, die älter als 25 Jahre sind. Es ist frustrierend.
In Italien bekommt man schnell ein Etikett verpaßt. Ich hatte schon sehr früh das Etikett einer ernsten, engagierten Schauspielerin, was mich auf die Dauer allerdings langweilte. Ich hätte gern mehr Komödien gedreht. „Alfredo Alfredo“ zum Beispiel mit Dustin Hoffmann hat mir großen Spaß gemacht.
Sehr viele italienische Schauspielerinnen, vor allem in den 50er und 60er Jahren, sind irgendwann in Hollywood gestrandet. Warum nicht Sie?
Mich hat nie jemand gefragt! Ich kann nicht einmal englisch. Das mit der Hollywoodkarriere trifft ohnehin nur für die Diven zu, wie Claudia Cardinale. Sie hatten alle einen großen Produzenten im Rücken, mit dem sie verheiratet waren und der Geschäfte mit Amerika machte. Heute holt kein amerikanischer Produzent eine Schauspielerin aus Italien nach Hollywood.
Aber am Anfang Ihrer Karriere wurden Sie doch von Dino de Laurentiis gefördert; er hat später in den USA produziert.
Von wegen gefördert! Ich war seine Sklavin. Ich hatte einen Knebelvertrag, ganz nach dem alten Studiosystem und war bettelarm. Er hat mit mir viel mehr Geld gemacht, als ich bei ihm verdient habe. Dabei hatte das System durchaus sein Gutes; man wurde auch als junge, unbekannte Schauspielerin unter Vertrag genommen. Ich bekam sogar Englischunterricht!
Und dann haben Sie den Vertrag gekündigt?
Nein, ich hab' ein Kind bekommen. (Lacht) Eigentlich war es gar nicht lustig, sondern eine Katastrophe. Ich war sehr jung, gerade 19 und bekam eine Tochter. Der Vater ist Gian Maria Volonte, ich hatte ihn bei meinem zweiten Bühnenengagement kennengelernt. Ich spielte also mit ihm „Romeo und Julia“, verliebte mich, aber er war verheiratet. Also bekam ich ein uneheliches Kind, und dafür hat man mich in Italien zahlen lassen. Sieben Jahre lang bekam ich keine Filmrolle mehr, fünf Jahre keine Fernsehrolle. Man hatte mir alle Türen verschlossen. Ohne das Theater wäre meine Karriere mit zwanzig beendet gewesen. Zum Glück hatte ich sehr früh mit der Bühnenarbeit angefangen. Meine erste Rolle spielte ich mit 15, in Ionescos „Unterrichtsstunde“.
Seit Anfang der Achtziger Jahre arbeite ich nicht mehr fürs Fernsehen, weil das ohne Kompromisse nicht möglich gewesen wäre. Ich hätte wahrscheinlich irgendwann in die Partei eintreten müssen. Der Preis besteht also darin, daß ich immer ein wenig beiseite stand und mit Skepsis behandelt werde. Aber ohne meine Freiheit würde ich die Arbeit als Schauspielerin aufgeben und lieber etwas anderes machen.
Was denn?
Etwas Praktisches. Ein Handwerk.
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