Superman im Finanzamt

Ein Triumph für Scientology: Nach 40 Jahren Kampf mit der US-Steuerbehörde wurde die totalitäre Psychosekte nun als eine ehrenwerte „Bona-Fide-Religion“ komplett von der Steuer befreit  ■ Von Frank Nordhausen und Liane von Billerbeck

Den Paukenschlag feierte die Sekte mit gewohnter Lautstärke. „Sieg für Scientology!“ lautet der Titel einer Broschüre, den die Organisation seit Dezember unter die Leute bringt. Genüßlich druckt sie darin Dokumente ab, die schwarz auf weiß belegen, was Sektenexperten und Aussteiger für eine ausgemachte Katastrophe halten. Im Oktober 1993 hatte die amerikanische Steuerbehörde „Internal Revenue Service“ (IRS) Scientology „als gemeinnützig, als steuerbefreit und damit vollständig als Religion anerkannt“. Die Organisation, so erklärte IRS-Sprecher Frank Keith vor kurzem, habe durch umfangreiche Unterlagen nachgewiesen, daß sie „ausschließlich für religiöse und wohltätige Zwecke arbeitet“. Auf deutsch: Scientology – die autoritäre Sekte mit den horrend teuren Psychokursen – spart jetzt Steuern in zweistelliger Millionenhöhe und kann ihr Negativimage gründlich aufpolieren.

Um die Steuerbefreiung zu erreichen, hatte die Sekte den USA- Behörden sogar erstmals ihr Vermögen offenbart, das sich demnach auf 400 Millionen Dollar beläuft. Der 33jährige Scientology- Boß David Miscavige bezog 1991 angeblich nur ein bescheidenes Salär von 62.683 Dollar (104.000 Mark). Doch sind Zweifel erlaubt, ob die Sekte das gesamte raffiniert verschachtelte Imperium und seine Vermögenswerte offengelegt hat. Wie das US-Nachrichtenmagazin Time berichtete, soll allein der Scientology-Ableger „Kirche der spirituellen Technologie“ bereits 1987 insgesamt 503 Millionen Dollar eingenommen haben. Der Bonner Scientology-Experte Ingo Heinemann hält die vorgelegten Zahlen denn auch für viel zu niedrig: „400 Millionen Dollar sind doch schon die Immobilien in Los Angeles wert.“

„Jetzt können wir uns völlig dem wahren Krieg widmen. Dem Krieg, den nur wir gewinnen können. Der Preis ist Unsterblichkeit“, rief Sektenchef David Miscavige 20.000 ekstatischen Jüngern in der Sportarena von Los Angeles zu. Sie feierten in einem rauschenden Fest das Ende eines erbitterten Kampfes, den der 1986 verstorbene Scientology-Gründer L. Ron Hubbard vor 40 Jahren begonnen hatte.

Seit der Science-fiction-Autor Hubbard (Motto: „Macht Geld, macht mehr Geld“) seine Weltraumreligion 1954 etabliert hatte, waren ihm Steuerfahndung, FBI und die Gerichtsbarkeit stets dicht auf den Fersen gewesen. Höhepunkt der Auseinandersetzungen war die kriminelle „Operation Schneewittchen“. Hochstehende Scientologen, darunter Hubbards Ehefrau Mary Sue, brachen Mitte der siebziger Jahre in Regierungsbüros ein, kopierten Tausende von Akten und plazierten Wanzen in Konferenzräumen.

Ziel dieser Aktionen war es, eine regierungsamtliche Untersuchung von Scientology zu verhindern. Eine interne Direktive befahl damals, mit „allen Mitteln“ dafür zu sorgen, „unseren steuerfreien Status der Gemeinnützigkeit zu erhalten“. Nach landesweiten Razzien wurden elf Sektenangehörige wegen „Verschwörung gegen die USA“ zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt.

Die Verbrechen führten nicht nur zu einem katastrophalen Imageverlust, sondern auch zu restriktiven Gerichtsentscheiden. 1984 urteilte das US-Steuergericht, der kalifornische Scientology-Zweig habe ein Geschäft aus der Religion gemacht und „fast ein Jahrzehnt dafür konspiriert, die Vereinigten Staaten zu betrügen“. Die Steuerfreiheit wurde aberkannt, 1,3 Millionen Dollar (Steuern) mußten nachgezahlt werden. Zugleich geriet Scientology in der amerikanischen Öffentlichkeit wegen ihrer totalitären Praktiken immer stärker unter Beschuß.

Um so erstaunlicher ist die radikale Kehrtwendung der IRS-Politik. In „6.000 Arbeitsstunden“ wurden angeblich alle relevanten Scientology-Akten überprüft. Ergebnis: Steuerfreie Profite können in Zukunft nicht nur sämtliche Scientology-Filialen in den USA, sondern auch der scientologische Medienriese „Golden Era Productions“, Teile des Wirtschaftsimperiums „World Institute of Scientology Enterprises“ (WISE) oder Tarnorganisationen wie die angebliche Drogenhilfe „Narconon“ einfahren. Sogar Scientology-Firmen, die ihre Geschäfte außerhalb der USA tätigen, wurden von Steuerzahlungen freigestellt. Mitgewinner sind alle US-Jünger, die für die scientologischen Psychokurse, das sogenannte „Auditing“, Zehntausende von Dollar hinblättern. Ihre Kosten für ihr Ziel, einmal als „Operierender Thetan“ – Herr über Raum, Zeit und Materie – wie Superman durch das Universum zu fliegen, können sie jetzt von der Steuer absetzen.

Der sensationelle Steuerdeal ist möglicherweise nicht nur das Produkt der gewissenhaften Buchprüfung des IRS. Das jedenfalls deutet Franz Riedl an, der Vizepräsident von Scientology Hamburg: „Wir haben die Verbrechen der IRS ans Tageslicht gebracht.“ 1991 waren in amerikanischen Zeitschriften ganzseitige Anzeigen mit der Überschrift: „IRS – eine Behörde außer Kontrolle“ erschienen. Darin machte Scientology einzelne Rechtsverstöße des Finanzamtes bekannt. Als der amerikanische Kongreß mußmaßliche Fehltritte hoher IRS-Funktionäre untersuchte, lieferte eine Scientology- gestützte „Nationale Koalition“ der IRS-Angkläger dazu belastendes Material. „Die Behörden hassen es wie die Pest, wenn man die Wahrheit über sie veröffentlicht, und deshalb haben sie sich dann mit uns an den Verhandlungstisch gesetzt“, erklärt der Hamburger Sektenmann die Methode. „Die Vorgänge in den USA beweisen, wie weit Scientology bereits in der amerikanischen Gesellschaft vorgedrungen ist“, kommentiert Aussteiger Norbert Potthoff die Steuerbefreiung. Als hätte Scientology ihre Agenten bereits flächendeckend in der US-Administration plaziert, stellte sich auch die amerikanische KSZE-Kommission kürzlich auf die Seite der Sekte – Stoff für Verschwörungstheorien. In ihrem offiziellen Bericht über „Menschenrechte und Demokratisierung im vereinigten Deutschland“ verurteilte sie nicht nur rassistische Gewalt und Mord von rechts. Im gleichen Atemzug prangerte sie auch die angebliche staatliche Verfolgung von Scientology wegen ihres „Glaubens“ an: „Es ist offensichtlich, daß Deutschlands Aktionskurs den Entschluß widerspiegelt, Gruppen an den Rand zu drängen oder auszurotten, die als Extremisten betrachtet werden oder die etablierte Ordnung bedrohen.“

Kirchliche und staatliche Sektenexperten in der Bundesrepublik meinen, daß damit die Tatsachen auf den Kopf gestellt werden. Ursula Caberta (SPD), die Scientology-Beauftragte der Hansestadt Hamburg, nennt die Sekte, die sogar einen eigenen Geheimdienst unterhält, wegen ihrer Methoden eine „kriminelle Vereinigung“ und fordert verstärkte Ermittlungen der Kriminalpolizei. Andere Kritiker verlangen, die Aufklärung zu verstärken und die Eltern- und Betroffeneninitiativen staatlich zu unterstützen.

Dennoch versuchen die Hubbard-Jünger auch in der Bundesrepublik seit jeher, als religiöse Vereinigung zu erscheinen. Um ihre Bilanzen nicht offenlegen zu müssen, bezeichnen sie ihr profitables Kurssystem als „Glaubensgemeinschaft“ und werden bisher in der Regel auch als Vereine anerkannt. Experten schätzen, daß dem Fiskus dadurch jährlich etwa 20 Millionen Mark entgehen. Die Rechtsprechung ist aber nicht einheitlich, einzelne Gerichte haben den Eintrag ins Vereinsregister auch abgelehnt. So stufte das Oberlandesgericht Hamburg Scientology im Juli 1993 als gewinnorientiertes Wirtschaftsunternehmen ein. Die Sekte muß in der Hansestadt künftig die finanziellen Verhältnisse offenlegen und Steuern zahlen.

Doch das US-Abkommen verschafft dem Psycho-Kult offenbar auch hierzulande wieder Oberwasser. Als wäre ein „Thetan“ bereits König von Deutschland, verkündete Scientology in ihrer Silvesterbotschaft huldvoll eine „allgemeine Amnestie“, die die Berliner Sektenbeauftragte Monika Schipmann als „unverschämte Anmaßung“ bezeichnet. Die „Amnestie“ wird Scientology-Kritikern angeboten, die sonst sektenintern gerade noch als „Humanoide“ (Science-fiction-Jargon für menschenähnliche Wesen) gelten. In der Silvesterbotschaft heißt es: „Sie haben die Möglichkeit, sich all Ihre Taten, von vor dem 7. Oktober 1993, die gegen Scientology gerichtet waren, vergeben zu lassen und so wieder ein gutes Verhältnis zur Kirche herzustellen. Wie dieses Verfahren im einzelnen abläuft, erfahren Sie in Ihrer nächstgelegenen Scientology-Kirche.“

Frank Nordhausen und Liane von Billerbeck sind die Autoren des Buches „Der Sekten- Konzern. Scientology auf dem Vormarsch“, Ch. Links Verlag, Berlin, 319 Seiten, 24,80DM