Ein Diktator in Bronze oder Granit

Im rumänischen Tirgu Mureș wollen Kriegsveteranen ein Denkmal für den Faschisten Antonescu errichten. Der Streit um die Statue ist auch ein Streit um den Umgang mit der ungarischen Minderheit.  ■ Von Keno Verseck

Die alten, großzügigen Villen auf dem Boulevard des 1. Mai beherbergten früher manchen Funktionär der Kommunistischen Partei. Der Boulevard ist eine der schönsten und ruhigsten Alleen in der siebenbürgischen Stadt Tirgu Mureș. Die Würdenträger von gestern sind heute entweder protzende Neureiche oder nationalistische Politiker. Und der Boulevard des 1. Mai trägt nun den Namen des faschistischen Diktators Ion Antonescu.

Am oberen Ende des Boulevards, schräg gegenüber der Kaserne, ist das Betonfundament für die Statue gelegt. In Granit gemeißelt oder in Bronze gegossen, soll der Diktator hier verewigt werden. An diesem kalten Wintermorgen lehnt neben dem Fundament an einem Baum ein betrunkener Stadtstreicher. Er lehnt da mit heruntergelassenen Hosen und verrichtet seine Notdurft. Dann erhebt er sich mühselig, und noch im Davonwanken streift er die zerlumpte Hose über sein nacktes Hinterteil.

„Neumarkt“ nannten die Siebenbürger die alte ungarische Handelsstadt auf deutsch. Nach vierzig Jahren Kommunismus lebt die Tradition wieder auf. Alte Bürgerhäuser sind renoviert worden, viele private Geschäfte haben eröffnet und lindern die Misere der noch immer leeren staatlichen Läden. Tirgu Mureș ist eine der saubersten und bestversorgten Städte Rumäniens.

Doch nur der von Geschichte unbeschwert Reisende würde von der Kulisse beginnender Prosperität auf das schließen, was sich hinter ihr politisch abspielt. In Tirgu Mureș wohnen zur Hälfte Ungarn und zur Hälfte Rumänen. Kaum war der Diktator Ceaușescu gestürzt, da hetzten ehemalige Securitate-Angehörige im März 1990 zu einem Pogrom gegen Ungarn und Roma auf. Rumänen schrien tagelang: „Holt die ungarischen Verräter aus ihren Häusern!“ Menschen starben, Ungarn und Roma kamen ins Gefängnis, kein einziger Rumäne wurde verurteilt.

Die Angestellten in den Geschäften haben begriffen, daß es sich lohnt, Kunden zweisprachig, in rumänisch und in ungarisch, anzureden. Aber hier ist es nicht einmal egal, in welcher Sprache jemand beginnt zu sprechen – in der Staatssprache Rumänisch oder der Minderheitensprache Ungarisch. Alles ist Zeichen. Unter der dünnen Decke des Burgfriedens lauert das Mißtrauen. Angefacht zumeist von der „Partei der nationalen Einheit Rumäniens“ (PUNR) – einem ultranationalistischen Verein, der keine Gelegenheit ausläßt, die Ungarn zu provozieren. Nun liegen die rumänischen und ungarischen Politiker der Stadt seit Monaten in einem Streit um die Aufstellung der Antonescu-Statue.

Ein sozialistisches Gemälde im Armeehaus

Auf dem zentralen Platz der Stadt steht übermächtig die orthodoxe Kathedrale. Ohne architektonische Rücksicht auf die umstehenden Häuser bauten die Rumänen sie, nachdem das ungarische Siebenbürgen 1918 dem moldauisch- walachischen Königreich zufiel und Groß-Rumänien entstand. Hinter der Kathedrale befindet sich das Armeehaus. Heldenhaft sterbende Soldaten, Menschenfleisch in blutigen Fetzen zieren da die Wände, gebannt auf vielfarbige sozialistische Gemälde. Im ersten Stock sitzt der 72jährige Aurel Constantin, „General in Reserve“, wie er sich nennt. Über ihm hängt ein Portrait des faschistischen Diktators. Der General ist Kreispräsident jenes „Verbandes der Kriegsveteranen“, der sich im Verein mit der PUNR die Rehabilitierung Antonescus und die Aufstellung seiner Statue in Tirgu Mureș zum Ziel gesetzt hat.

„Unvermeidbare menschliche Verluste“ – so beantwortet der General die Fragen, ob er nicht finde, daß in dem von Antonescu angezettelten Rußland-Feldzug 200.000 Rumänen einen sinnlosen Tod gestorben seien und wie er zur Ermordung von 300.000 Juden und 40.000 Roma auf Antonescus Befehl stehe. „Es ist ganz so, wie der Herr General sagt“, krächzt ein hinkender Alter dazwischen, der seinerzeit Rekrut war und sich dafür heute eine Monatsrente von 10.000 Lei (10 Mark) beim Verein abholen kann.

„Antonescu ist einer der größten rumänischen Patrioten“, fährt der General mit wohlwollendem Nicken fort. „Er mußte sich mit Hitler verbünden, aber er hat weder Juden noch Zigeuner deportiert... Zigeuner, na, vielleicht. Er hat Überlebensmaßnahmen für die Juden getroffen, er hat sie zur Arbeit geschickt, ohne sie zu deportieren. Die Zigeuner hat er in Lager geschickt, weil sie die innere Ordnung und Ruhe störten. Sie haben sich nicht untergeordnet, sie waren störende Elemente, deren Loyalität gegenüber dem Staat man nicht sicher sein konnte.“

Genauso begründete der Richter Ioan Sabau kürzlich sein Urteil, in dem er die Stadt verpflichten wollte, die Baugenehmigung für die Statue auszustellen. Er fügte hinzu, wer sich widersetze, sei ein „Feind des Landes und des rumänischen Volkes“. Richter Sabau, so ist von einer Kollegin in seinem Büro zu erfahren, sei derzeit nicht am Gericht. Als sie hört, daß der deutsche Besucher in der Statuen- Angelegenheit gekommen ist, ruft sie unwillig aus: „Was, ist Deutschland etwa gegen Antonescu?!“

Das Todesurteil der rumänischen Justiz gegen den faschistischen Diktator ist bisher nicht aufgehoben worden, doch schon gilt er in den Augen der Gesellschaft, der Machthaber und der demokratischen Opposition als moralisch rehabilitiert. Wer historische Wahrheiten zur Sprache bringt, wird als „Feind der Nation“ gebrandmarkt. Solche Feinde sind die zwei Millionen Ungarn Siebenbürgens. Der Streit um die Statue ist auch ein Streit um den feindseligen, nationalistischen Umgang mit Minderheiten im heutigen Rumänien. Der ungarische Bürgermeister und der ungarische Stadtrat von Tirgu Mureș lehnen eine Baugenehmigung für die Statue ab. Doch die rumänischen Nationalisten, die sich von einem ungarischen Bürgermeister beherrschen lassen müssen, scheinen in Stein hauen zu wollen, daß sie im Land die einzigen und wahren Herren sind.

Die freundliche rumänische Sekretärin bei der PUNR in Tirgu Mureș bedauert, daß ihre Dienstherren nicht abkömmlich sind. Sie befinden sich in der Hauptstadt, um über eine Beteiligung an der Regierung zu verhandeln. An ihrer Dienstherren Statt redet nun sie eine Stunde lang auf den deutschen Besucher ein, beginnt ihre Sätze in rumänisch und beendet sie in ungarisch. Sie erzählt von ungarischen Waffenlagern. Die Ungarn seien gegen Antonescu, weil sie Siebenbürgen zurückerobern wollten. „Niemals!“, ruft sie und blickt den Besucher dann vorwurfsvoll an.

Die Ungarn fühlen sich provoziert. Vielleicht nicht so sehr von dem Antonescu, der Juden und Roma deportierte, sondern eher von dem anti-ungarischen Ultranationalisten. Doch wenn der „Demokratische Bund der Ungarn Rumäniens“ (RMDSZ) nun auch gegen die Aufstellung der Statue protestiert – noch vor einem halben Jahr fuhren Politiker aus seinen Reihen zum Neubegräbnis des ungarischen Diktators Horthy, der einen ebensolchen Krieg führte wie Antonescu und ebenso Juden deportieren ließ.

László Borbély, RMDSZ- Kreispräsident in Tirgu Mureș, möchte das nicht verglichen wissen. Eine Statue und ein Begräbnis seien zwei verschiedene Sachen. Manche Ungarn seien „als Privatpersonen“ zum Begräbnis gefahren, normal sei es, daß da ein „gewisses Nationalgefühl hereinspielt“. Ist es dann nicht auch verständlich, daß die Rumänen eine Antonescu-Statue aufstellen wollen? „Es sollte“, meinte Borbély, „eine schweigende Eintracht darüber geben, daß keine Statuen aufgestellt und keine Straßen nach solchen zweifelhaften historischen Personen benannt werden.“

Eine Feindin der rumänischen Nation

Zu den „Feinden der rumänischen Nation“ gehört auch Smaranda Enache, eine Philologin und bekannte Menschenrechtlerin aus Tirgu Mureș. Als eine der wenigen rumänischen Intellektuellen gab sie ihr kommunistisches Parteibuch schon vor der Revolution 1989 zurück – in Rumänien ein nahezu selbstmörderischer Akt. „Es gab bei uns keine Entnazifizierung“, sagt sie, „der Nationalkommunismus verbreitete ein idyllisches Bild über das rumänische Volk: Es sei das friedlichste Volk in Europa, gut und großzügig, habe seit 2.000 Jahren eine nationale Identität. Mit diesen Mythen wuchsen mehrere Generationen auf. Wenn nun über eine historische Figur die Rede ist, die diesem Bild widerspricht, können die meisten Leute das nicht akzeptieren. Das Schlimmste an diesem Reflex ist, daß er auch bei Intellektuellen funktioniert. Die meisten Intellektuellen glauben, Antikommunismus reicht, um Demokrat zu sein. Sie wollen die Gefahr eines neuen Totalitarismus nicht erkennen und akzeptieren. Wenn wir heute eine Statue von Antonescu aufstellen, dann heißt das, daß wir ihn legitimieren. Das kann der Anfang eines neuen Totalitarismus, eines neuen Faschismus sein.“

Die meisten Leute auf der Straße wissen von nichts und wollen von nichts wissen. Wahrscheinlich haben sie andere Sorgen als die Statue. Mit Blick darauf sagte der RMDSZ eine geplante Protestkundgebung ab. Zwei Jungen, ein Rumäne und ein Ungar, die auf dem Antonescu-Boulevard entlanggehen, meinen, der Marschall habe viel für das Land getan. Die Dokumente über die Deportationen und Pogrome seien wohl falsch wie so viele Dokumente heutzutage. Sie machen den Eindruck, als wüßten sie überhaupt nichts. Dem Wachsoldaten in der Kaserne ist es vollkommen egal, ob die Statue aufgestellt wird oder nicht.

Ein älterer Herr kommt aus der Kaserne, Colonel im Ruhestand sei er. Antonescu, sagt er, habe den Juden und Roma Pässe gegeben, damit sie ausreisen konnten. Er betont, keinerlei Verein oder Partei anzugehören, nur früher, da sei er in der Partei und Kommunist gewesen.

„Aber jetzt glaube ich nicht mehr daran. Antonescu? Er ist unser größter Patriot. Und unser einziger. Einen anderen haben wir nicht.“ Bei den letzten Worten liegt eine Spur von Trauer und Selbstmitleid in seiner Stimme.