Mexiko: „Eintreten in eine neue Etappe“

■ Politische Verhandlungen / amnesty über Menschenrechtsverletzungen

Mexiko-Stadt (taz) – Genau 25 Tage nach Ausbruch des chiapanekischen „Volkskrieges“ traf am vergangenen Dienstag Präsident Salinas in der Landeshauptstadt Tuxtla Gutierrez ein. Vor über 40 VertreterInnen der 280 Bauern- und Indianerorganisationen des Bundesstaates gab sich der späte Besucher durchaus einsichtig: „Wir wollen den Frieden, aber nicht, um zu der vorigen Situation zurückzukehren, sondern um in eine neue Etappe einzutreten.“ Die Agrarfrage sei zwar „sehr sensibel“, aber man werde sehen, „was man tun kann“.

In einer Ansprache an „das Volk von Chiapas“ versicherte das Staatsoberhaupt, daß in bezug auf die Menschenrechte „nichts verborgen bleiben wird“, da diesem Problem „seit Beginn des Konflikts“ seine Hauptsorge gegolten habe. So richtig sorgenvoll klang er dann allerdings nicht, der freundliche Persilschein, den der Präsident schon mal vor Abschluß der Untersuchungen ausstellte: Die Streitkräfte hätten „stets loyal und mit verfassungsgemäßer Verantwortlichkeit“ gehandelt.

In vier indianisch besetzten Ausschüssen soll das weitere Konfliktmanagement koordiniert werden. Die erste Kommission traf ab Dienstag mit dem Minister für Agrarreform, Victor Cervera Pacheco, zusammen, um die zurückgebliebene Landverteilung in der Region voranzubringen. Überall in Mexiko stehen noch Landtitel aus, die im Zuge der vor fast 80 Jahren begonnenen Landreform an die Kleinbauern verteilt werden soll(t)en – schätzungsweise ein Viertel davon in Chiapas.

Eine zweite Gruppe wird, in Zusammenarbeit mit Sozialminister Carlos Rojas, die „sozialen Prioritäten“ der chiapanekischen Bauern und IndianerInnen analysieren. Die Verteilung von Lebensmitteln und Medikamenten wird ab Donnerstag von einem dritten Komitee organisiert. Schließlich bemüht sich eine vierte Kommission um die Dokumentation der Menschenrechtsverletzungen im chiapanekischen Hochland während der letzten drei Wochen.

Am Montag gab ein Sprecher von amnesty international (ai) bekannt, daß der Organisation bislang Beweise für insgesamt 100 Fälle von Folter, zwei mutmaßliche Vergewaltigungen, neun Hinrichtungen sowie drei „nachweislich“ und neun „mutmaßlich“ Verschwundene vorliegen. Außerdem berichtet ai von unzähligen „willkürlichen und illegalen“ Festnahmen und rechnet auch die Bombardements und Angriffe auf die Zivilbevölkerung zu den Menschenrechtsverletzungen.

Der ai-Forderung nach „bedingungsloser Freilassung“ des entführten Generals Absalón Castellanos scheint die Zapatistische Nationale Befreiungsarmee (EZLN) nicht so ohne weiteres nachkommen zu wollen: Eigentlich sei der entführte Ex-Gouverneur von Chiapas zur „lebenslangen Zwangsarbeit in einem chiapanekischen Dorf verurteilt“ – teilte die Guerilla in einer am Dienstag veröffentlichten Presseerklärung mit – dennoch habe man sich entschlossen, der Regierung den Austausch des Entführten gegen alle Gefangenen vorzuschlagen.

Außerdem stellte die EZLN einen Vierpunktekatalog zur Aufnahme von Verhandlungen vor: Dieser ist unterteilt in wirtschaftliche, sozio-kulturelle und politische Forderungen – „reale Partizipation der Indianer in Chiapas und aller Mexikaner im ganzen Land“. Die Verhinderung der Präsidentschaftswahlen im kommenden August sei dagegen ausdrücklich kein Ziel der Guerilla, betonte Subcomandante Marcos. Als vierten Punkt verlangt die EZLN die „Einstellung aller Feindseligkeiten“ und „Garantien für beide Seiten“. Die anvisierte „persönliche Kontaktaufnahme“ mit Manuel Camacho Solis sei bislang allerdings von den mexikanischen Streitkräften verhindert worden.

Während von Friedensemissär Camacho in den vorangegangenen Tagen nur Positives über den Fortgang seiner Befriedungsmission zu vernehmen war, mischte sich in den sonntäglichen Lagebericht ein pessimistischer Ton: Trotz aller Fortschritte befinde sich die Region immer noch in gefährlicher Nähe zum Gewaltausbruch.

Außerdem sei bei einem möglichen Dialog zwischen Regierung und Guerilla deutlich zwischen dessen „regionaler“ und „nationaler“ Dimension zu unterscheiden: Die auf Chiapas bezogenen Forderungen nach Verbesserung der Lebens- und Produktionsbedingungen der indianischen Bevölkerung seien zwar „eine schwierige Herausforderung“, würden von der Regierung aber dennoch als „notwendig und gerechtfertigt“ betrachtet. Dagegen sei die überregionale Forderung nach „Demokratie“ – als deren erste Voraussetzung die EZLN stets die Absetzung des „illegalen“ Präsidenten gefordert hatte – im Grunde nicht verhandelbar. „Unter dem Druck einer bewaffneten Bewegung demokratisiert sich kein politisches Regime.“ Anne Huffschmid