Linker Durchmarsch in NRW

■ Nominierung der grünen NRW-Bundestagskandidaten sorgt vorab für Wirbel

Düsseldorf (taz) – Wenn es um Forderungen nach mehr Demokratie geht, dann läßt der grüne Landtagsabgeordnete Roland Appel sich von niemandem übertreffen. So schlägt Appel, einer der Wortführer der Parteilinken, in einem Alternativentwurf zum Bundestagswahlprogramm „weitere Maßnahmen zur Demokratisierung der Parteien“ vor, um den „Vertrauensverlust“ zu stoppen. Die Grünen selbst verwirklichten mehr Demokratie und Transparenz „schon heute innerhalb der eigenen Parteiorganisation durch Urabstimmungen“ und offene Listen. Diese Liebe zur breiten Mitgliederbefragung gehört zu den späten Entdeckungen der NRW- Linken. Noch vor einigen Jahren kämpfte die Linke heroisch, um von den Realos initierte Urabstimmungen – etwa zur Frage der Rotation – zu vereiteln. Sie wußte warum: Weil auch beim breiten grünen Parteivolk die Versammlungsmüdigkeit grassiert, versprechen Parteitage für linke Aktivisten allemal genehmere Ergebnisse als Urwahlen. In den vergangen Wochen kam das Unheil der Urwahl über Bonn. Per Briefwahl kürten die Bonner Bündnisgrünen ihren Direktkandidaten für den Bundestagswahlkreis. Das Ergebnis war knapp. 50 von 110 abgegebenen Stimmen fielen auf Appel, 54 auf seinen Gegenkandidaten aus dem Realo-Lager, Bernhard Meier. Am vergangen Sonntag rückte die formal zuständige Mitgliederversammlung die Machtverhältnisse wieder zurecht. 88 Anwesende, davon 66 Parteimitglieder, verschafften Appel per Abstimmung die Mehrheit. Die nahm der linke Basisdemokrat dankbar an. Daß überhaupt bei den Bündnisgrünen um Direktmandate gekämpft wird, hängt mit dem Aufstellungsritual für die Landesliste beim Landesparteitag zusammen. Es macht sich gut, wenn die Mitgliederbasis auf diese Weise die Verankerung des Kandidaten vor Ort signalisiert. Ob die Bonner Kapriolen Appel, der sich beim Landesparteitag am kommenden Wochenende um einen sicheren Listenplatz bemühen wird, schaden, steht dahin. „Schwer verständlich“ wertet der zum Realo- Lager zählende Parteisprecher und MdB-Aspirant Wolfgang Schmitt das Bonner Wahltheater. Die Nichtberücksichtigung der Mitgliederbefragung laufe „den Bemühungen entgegen, in der Landespartei mehr Demokratie herzustellen“. Die Realos im traditionell linken nordrhein-westfälischen Landesverband fürchten inzwischen bei der Aufstellung der Liste einen „Durchmarsch der Linken“. Sollte es dazu kommen, so prophezeit der Landtagsabgeordnete und Realo Gerd Mai, „werden wir beim Parteitag eine Auszeit beantragen, und dann müssen wir darüber nachdenken, wie wir auf dieser Grundlage noch Politik in NRW machen können“. Die Realos sähen am liebsten die frühere Bundestagsabgeordnete Christa Nickels auf Platz eins der Landesliste. Gegen Nickels schicken die Linken die Landesvorstandssprecherin Kerstin Müller ins Rennen. Im Kampf um Platz zwei treten die Realos erst gar nicht an, weil der für diese Position kandidierende Bundesvorstandssprecher Ludger Volmer schon jetzt als der sichere Sieger gilt. Die ersten elf bis zwölf Listenplätze dürften bei einem Wahlergebnis um acht Prozent den Einzug in den Bundestag garantieren. 1987 schafften elf Abgeordnete über die NRW-Liste den Sprung nach Bonn. Wenn das Wahlvolk entsprechend den Prognosen mitspielt, werden die NRW-Grünen etwa 20 Prozent der künftigen Bundestagsfraktion stellen. Deshalb wird wohl auch der nach Bonn strebende Joschka Fischer, der erst jüngst in der taz den NRW-Grünen vorhielt, in der Wahlprogrammdebatte einem realitätsuntauglichen „Sofortismus“ das Wort zu reden, am Wochenende gespannt zum Parteitag nach Aachen schauen. Fischers Plädoyer, „die eigene Politik an der Durchsetzbarkeit bei einer theoretisch angenommenen absoluten (bündnisgrünen) Mehrheit zu orientieren“, stößt bei den Linken auf wenig Gegenliebe. Mit Blick auf Fischer spricht etwa Roland Appel davon, daß „wir keine 51-Prozent-Volkspartei sein wollen“. Sein Fraktionskollege und linker Mitstreiter Daniel Kreutz wittert bei der aktuellen Programmdebatte Schlimmes: Wenn die Parteilinke nicht achtgebe, könne diese Auseinandersetzung eines der letzten Gefechte „um die Zukunft des grünen Projekts“ werden. Als besonders abschreckendes Beispiel grüner Realpolitik gilt dem linken Abgeordneten ein politischer Weggefährte Fischers, der Frankfurter Kämmerer Tom Koenigs. Für den Fall, daß sich der „Koenigsgeist“ bei den Grünen durchsetzt, will Kreutz sich „ein anderes Betätigungsfeld suchen“. Noch hofft er, daß es genau umgekehrt kommt. Walter Jakobs