Ein Volksfest mit Sicherheitsstufe eins

Mit der demonstrativen Entscheidung, den Fußball-Klassiker Deutschland gegen England im Berliner Olympiastadion auszutragen, wollen Sportfunktionäre und Politiker fast aller Lager zeigen, welch normaler Tag der 20. April inzwischen ist. Und Neonazis, die an diesem Datum traditionsgemäß „Führers Geburtstag“ begehen, vorführen, daß dies nicht ihr Tag ist.

Zu den Speerspitzen im Kampf gegen den deutschen Neonazismus zählt seit gestern Berlin. In der Stadt, die so wenig Fortune bei der Olympiabewerbung hatte, wird am 20. April das Fußball-Länderspiel England gegen Deutschland stattfinden. Im Olympiastadion. Die Entscheidung fällte gestern vormittag das Präsidium des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) in Frankfurt. Zu einem fatalen Politikum erhöht wurde das Freundschaftskicken, weil die Stadt Hamburg, die das Spiel ursprünglich ausrichten sollte, in der vergangenen Woche paßte. Innensenator Hackmann sollen Erkenntnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz vorgelegen haben, wonach Rechtsradikale Randale planten. Denn am 20. April jährt sich der 105. Geburtstag von Adolf Hitler. Die Absage des Spiels wurde fast einhellig und quer durch alle politischen Lager als präventives „Einknicken vor den rechten Gewalttätern“ bezeichnet.

Diese Hamburger Scharte will die Hauptstadt nun auswetzen. „Berlin freut sich auf den Klassiker“, heißt es in einer Presseerklärung des Senats. Die Stadt werde alles tun, um dieses Spiel zu einem „wahren Volksfest zu machen“. Der Senat sieht die Chance, gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Das Fußballspiel soll in das Verabschiedungsprogramm für die Alliierten mit einbezogen werden, wird da vorgeschlagen. Auf den Emporen des Olympiastadions sollen sich britische, amerikanische, russische und französische Militärvertreter am friedlichen deutschen Sportsgeist erfreuen. Sicherheitsbedenken habe der Senat nicht. Denn: „Wir können darauf vertrauen, daß unsere Polizei sowohl anreisende Chaoten, provozierende Neonazis als auch randalierende sogenannte ,Autonome‘ – falls es überhaupt dazu kommt – in Schach halten kann.“ Im übrigen vertraue man auf die solidarische Zusammenarbeit zwischen den Ländern und der Bundesregierung in Sicherheitsfragen.

Nicht ganz so optimistisch scheint die Berliner Innenverwaltung zu sein, die für die Sicherheitsmaßnahmen verantwortlich ist. Als am vergangenen Freitag bekannt wurde, daß der Berliner Fußball-Verband (BFB) und der Sportsenator Jürgen Klemann (CDU) sich beim DFB um das Spiel bewerben wollten, fiel ihnen als Wichtigstes ein, daß das Olympiastadion eventuell bauliche Mängel aufweisen könnte. Aber diese Bedenken zerstreute der Sportsenator, der seit der Olympia-Schlappe den Ruf einer Provinznase weg hat, im Weltmeistertempo. Jetzt fällt dem Innensenat für das Länderspiel am 20. April nur ein, daß nicht er, sondern die Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport für die Ausrichtung des Länderspiels zuständig ist. Senator Klemann ist beauftragt worden, „alle Fragen federführend zu koordinieren und zu organisieren“. Also auch eventuelle Polizeieinsätze.

Darüber will der Sportsenator aber nichts sagen. Nach der Hamburger Kapitulation vor den Rechten betont er den sportlichen Charakter der Veranstaltung. „Das Länderspiel ist ein ... Leckerbissen. Jede Stadt müßte sich um die Austragung eines solchen Spiels bemühen“, sagte er. Klemanns Engagement war für den DFB auch der entscheidende Grund, sich für Berlin zu entscheiden. Als einziger Mitbewerber wurde München erfolgreich aus dem Feld gekickt. Gleichermaßen engagiert wie Klemann betätigte sich auch im Vorfeld der Entscheidung der Präsident der Berliner Fußballer, Otto Höhne. „Der Sport muß siegen“, sagte er, und: „Wir müssen den 20. April als ganz normalen Tag sehen.“ Denn mit einem Geburtstagskalender aller Nazigrößen im Kopf „werden wir die Vergangenheit niemals bewältigen“. Er will in Zusammenarbeit mit dem Sportsenator selber für die Sicherheit im Stadion sorgen. Etwa 1.000 „Sportskameraden“ sollen als zivile Helfer präsent sein. Zusätzlich vertraut er auf die Berliner Bevölkerung, die schon immer Vernunft bewiesen habe. Die Fußballfreunde müssen den Randalierern sagen: „Ihr spinnt wohl.“

Im übrigen ist er davon überzeugt, daß die ganze Aufregung um Sicherheitsfragen theoretischer Natur ist. Er verweist auf die Erfahrungen von 1983. Damals wurde beinahe ein Länderspiel gegen die Türkei abgesagt, weil rechte Gruppen zur „Türkenhatz“ mobilisierten. Später stellte sich das alles als Unsinn heraus. „Das hochpolitisierte Spiel wurde zu einem der schönsten Länderspiele, die je in der Stadt stattfanden“, erinnert er sich. Und das soll es diesmal auch werden. Vor dem Spiel und während der Pausen soll ein Kulturprogramm mit Musik laufen. Bei dem ganzen Freudenchor über die Engländer in Berlin fallen bisher nur Bündnis 90/Grüne aus dem Rahmen. Ähnlich wie die GAL-Fraktion in Hamburg wiegen sie bedenklich die Häupter. Der Beschluß des DFB sei der „dritte schwere Fehler“, kritisierten sie. Erstens sei die Wahl des Datums „instinktlos“ gewesen. Zweitens habe der DFB durch die panische Absage des Spiels in Hamburg das Spiel erst recht zum Politikum gemacht, und drittens beweise die jetzige Entscheidung Realitätsverlust. Es sei voraussehbar, daß in Neonazi-Kreisen jetzt erst recht die Parole umhergeht: „Zu Führers Geburtstag in die Reichshauptstadt gen Engeland.“ Anita Kugler, Berlin