Ciba-Geigy will für Beutelentsorgung an der Küste zahlen

■ Gestern wieder 2000 Gifttüten in Schleswig-Holstein gefunden / Sorgloser „Katastrophentourismus“

Bei der Giftpest an den Stränden der schleswig-holsteinischen Westküste ist noch kein Ende in Sicht. Fast 2000 neue Giftpäckchen wurden bis gestern mittag von den über 100 Helfern an der rund 1000 Kilometer langen Küstenlinie aufgesammelt, die meisten in St. Peter Ording. Erstmals erreichten die Tüten auch Hamburger Gebiet: Auf der Vogelinsel Scharhörn in der Elbmündung sammelte ein Mitarbeiter der Umweltbehörde 26 Beutel ein, die wie die anderen aus den Containern des französischen Frachters „Sherbro“ stammen.

Windstärken zwischen acht und neun mit Böen bis zwölf erschweren die Sucharbeiten. Zum Wochenende wird an der Nordsee ein Orkan erwartet. Es besteht die Gefahr, daß das Wasser die Giftbeutel dann nicht nur an den Strand schwemmt, sondern daß auch die Vorländer überflutet werden. Bisher wird nur die Flutlinie überwacht. Das Kieler Umweltministerium versprach aber, im Falle von Hochwasser gemeinsam mit den Kreisen sofort zu reagieren und das Absuchen der betroffenen Vorländer sicherzustellen.

Unterdessen hat sich die Herstellerfirma Ciba-Geigy bereit erklärt, die Kosten für die Suche und Entsorgung des Giftes zu übernehmen. Ihr Sprecher Jörg Albrecht erklärte, das Unternehmen habe die Landesregierungen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein entsprechend unterrichtet. Die niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn bezifferte Such- und Bergungskosten auf 100.000 Mark pro Land. Für Schleswig-Holstein gibt es noch keine Zahlen.

Für Verwirrung sorgen die unterschiedlichen Angaben über die Giftigkeit des Beutelinhalts. Nach Angaben von Jörg Albrecht könne ein Kind „erst sterben“, wenn es einen halben Beutel gegessen habe. Bei dem ekligen Geruch und Geschmack des Mittels sei dies jedoch äußerst unwahrscheinlich. Der Toxikologe der Medizinischen Hochschule Hannover Hans Wellhörner dagegen erklärte, für Kinder bestehe akute Lebensgefahr, wenn sie nur ein Gramm des Giftes schluckten. Allerdings wirke es so langsam, daß Hilfe möglich sei.

Der Sprecher der Schutzstation Wattenmeer, Lothar Koch, berichtete, Mitarbeiter von Umweltorganisationen würden vor allem in St. Peter Ording zunehmend den sogenannten „Katastrophentourismus“ beobachten. Zahlreiche Erwachsene und Kinder hätten die Tüten ungeschützt, ohne Handschuhe, am Strand aufgesammelt und stolz zu den Stationen gebracht. Kritik übte Koch auch an der „nur halbherzigen“ Sperrung der Strände. Gemeinden und Kreise weigern sich nach wie vor, der Bitte der Landesregierung nach einer völligen Strandsperrung nachzukommen.

Der Diplombiologe wies gleichzeitig darauf hin, daß sich derzeit nahezu unbemerkt im Schatten der „Beutelpest“ an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste das größte durch Öl verursachte Vogelsterben der vergangenen Jahre abspiele. Bereits mehr als 1000 verölte Hochseevögel seien gesichtet worden. Die sogenannte „schleichende Ölpest“ sei keine Folge von Tankerunglücken, sondern des „ganz normalen, rücksichtslosen Umwelt-Wahnsinns“. Damit bezog sich Koch auf die in der Berufsschiffahrt übliche Praxis, ölige Verbrennungsrückstände, die in Tanks an Bord aufgefangen werden müssen, bei Nacht und Nebel außenbords zu pumpen. Beliebt und häufig sei auch das Lenzen der Bilge, d.h. das Ins-Meer-Pumpen des im tiefliegenden Schiffsrumpf angesammelten Gemisches aus Öl, Treibstoff, Reinigern etc. Einige tausend Tonnen Öl gelangten auf solch illegale Weise jährlich in die Nordsee.

Heftig kritisierte Koch, daß das MARPOL-Abkommen zum Schutz der Nordsee immer noch nicht verabschiedet worden sei. Auch ein Pilotprojekt zur kostenlosen Ölentsorgung in den Häfen Schleswig-Holsteins sei erst von der Bundesregierung, dann vom Land eingestellt worden. Und das, obwohl während dessen Laufzeit die Zahl der an den Stränden registrierten Ölvögel erstmals rückläufig gewesen sei. KeK/ch