: Leben neben „Schamwand“ und Klosett
■ Die Bremerhavener Knackies fühlen sich vernachlässigt von Bremen: Sie hausen zu viert auf der Zelle, ein Psychologe fehlt
Eigentlich müßten auch Ralf und Michael seit sieben Uhr arbeiten: Gartenfackeln ziehen oder Tütchen für Silvesterknaller drehen. Aber in Zeiten der Rezession reicht auch die Arbeit im Knast nicht für alle. Also liegen Ralf und Michael noch um neun Uhr in ihren Etagenbetten und gukken fern - per Antennenverstärker kriegen sie auch RTL und Pro 7 in die Bremerhavener Justizvollzugsanstalt. Sie und ihre zwei weiteren Zellengenossen haben die 18 Quadratmeter so gemütlich wie möglich eingerichtet: die Fenstergitter mit blauer Müllsackfolie verhängt, die Neonröhre mit einem Geschirrhandtuch. Das sehen die Vollzugsbeamten nicht so gern: „Wenn die alles verhängen, haben wir keinen Überblick mehr“, sagt Rolf Kukkuck.
Auch den harten Holzstuhl haben die Männer verwandelt: umwickelt mit einer Anstaltsdecke, zusammengehalten von braunem Paketklebeband ist daraus so etwas wie ein Sessel geworden. Nur das Klosett läßt sich nicht wegzaubern. Eine sogenannte „Schamwand“, ein nabelhoher Paravent, soll für eine gewisse Intimität sorgen.
Die meisten der derzeit 84 Bremerhavener Gefangenen leben in solchen Vier-Mann-Zellen. Eigentlich sollten die Zellen schon lange umgebaut werden, halbiert und nur noch von je einem Menschen bewohnt, das Klo räumlich getrennt vom Wohnraum ... doch immer wieder ist man vertröstet worden vom Senat, beklagt der Anstaltsbeirat, der aus Menschen „von draußen“ besteht, zum Beispiel Stadtverordneten oder Richtern. Erst für 1997 und 1998 sind 700.000 Mark im Finanzplan vorgesehen. Vorgesehen, nicht fest zugesagt. Der Knast in Oslebshausen ist längst modernisiert. „Wir werden hier sehr stiefmütterlich behandelt“, sagt Sozialarbeiterin Marion Christen vom Anstaltsbeirat.
In der Enge rastet immer mal wieder einer aus: Zur „eigenen Sicherheit“ wird er dann für einige Stunden oder auch eine Nacht in den sogenannten „Besonders-gesicherten-Haftraum“ gesteckt - eine Zelle, die nur mit einer Ledermatratze ausgestattet ist. Die Zahl der solcherart Behandelten ist angestiegen, im vergangenen Jahr wurde die Zelle dreissigmal belegt.
Rund ein Viertel der Einsitzenden sind Ausländer. Wo aber soll in einem Vier-Mann-Zimmer ein Moslem beten? Einer konnte nun für die vier Wochen des Ramadan in eine Einzelzelle im U-Haft-Trakt verlegt werden. Ein anderer Häftling ist geradezu glücklich, daß er zur Strafe für sein Ausrasten an Silvester in Einzelhaft ohne gemeinsamen Hofgang gekommen ist: „Ich bin dort erst richtig zu mir gekommen“, sagt er und will bitte länger so bestraft sein.
Während Ralf und Michael in ihrer dämmrigen Zelle den Tag totschlagen, klebt Gerold Tüten für Silvesterraketen. Acht Stunden am Tag, Mindestpensum 80 Stück in der Stunde - sonst gibt es nicht die vollen fünf Mark Tageslohn. Für fünf Mark kann man beim wöchentlichen Bescuh des Händlers ein Päckchen Tabak kaufen. Gerold gibt sein Geld vor allem für Tabak und Kaffee aus - und für Kosmetika, denn vom Knastshampoo bleichen die Haare aus, sagt der Langhaarige. Für Obst bleibe kein Geld mehr übrig. Obst und Vitamintabletten sind ewig heißer Wunsch für Weihnachtspakete.
Wem das Geld nicht reicht, der leiht sich ein Päckchen Tabak von Mitgefangenen, am Monatsende sind dann allerdings anderthalb Tabakbeutel zurückzuzahlen - der knastübliche Zins. Mancher Schein geht wohl auch für Heroin drauf: Denn die Hälfte der Einsitzenden ist drogenabhängig, schätzt Marion Christen. Elf der 70 Strafgefangenen bekommen Polamidon.
Höhepunkt des Tages für die meisten: der Hofgang. Für Fußballspielen allerdings ist der Hof viel zu klein. Basketball spielt man stattdessen. Bänke stehen dort keine mehr, seit sie losgerissen und für einen Ausbruchsversuch benutzt worden sind. Auf drei Seiten wird der Hof von der denkmalgeschützen Fassade der Anstalt von 1917 umstanden. Am frühen Nachmittag verschwindet die Sonne.
Fehlende Freizeitmöglichkeiten - das ist der zweite große Mangel in Bremerhaven neben den Viererzellen. Die Flure sind zu eng, um dort Tischtennisplatten aufzustellen. An der wöchentlichen Schwimm- und Sportgruppe können nur Leute mit Haftlockerung teilnehmen: Die bekommt man allerdings frühestens nach einem halben Jahr Haft und nur bei Wohlverhalten. Wer ausrastet oder draußen Heroin kauft, dem wird die Lockerung wieder entzogen.
Sicher, da gibt es noch die Anstaltsbücherei mit fünf Regalen Krimis, Behördenratgebern, Hegel und der beliebten Reiseliteratur. Einmal wöchentlich darf für eine Stunde Besuch kommen. Aber sonst?
So drängen sich die Männer nach der Arbeit in dem winzigen Kraftraum unterm Dach, arbeiten sich an den wenigen Geräten und den vielen Hanteln ab. Zu Weihnachten schenkte die Anstaltsleitung den Häftlingen einen Filzteppich für den Betonboden.
Das Polster eines Kraftsitzes ist abgebrochen, für die Reparatur bräuchte man einen Sponsor. Denn in den Topf „Freizeitmittel“ legt das Land Bremen der kleinen Haftanstalt mittlerweile nur noch 2.000 Mark jährlich. Dieses Geld geht vor allem für Bälle drauf. Größter Wunsch der Insassen: Tischfußball. Kostet aber rund 1.600 Mark.
Große Enge, wenig Arbeit, keine Möglichkeit, sich auszutoben - auf den, der dann den Knastkoller kriegt, wartet nur die „Besonders- gesicherte-Zelle“. Psychologische Krisenintervention ist in Bremerhaven nicht möglich - der zuständige Psychologe hat sein Büro in Bremen in der Oslebshausener Anstalt. Der junge Mann, der wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern verurteilt worden ist, jedoch keinerlei Schuld empfindet und sich damit die Möglichkeit verbaut, frühzeitig entlassen zu werden - der bleibt gänzlich unberaten. Die Sozialarbeiterin und die Drogenberaterin sind mit seinem Problem einfach überfordert.
Einziger Trost für die Insassen der kleinen Anstalt laut Anstaltsleiter Kurt Bartels: Hier kennt jeder jeden. Daß einer den großen Kapo macht und die anderen schikaniert, während sich die Beamten resigniert zum Kartenspielen zurückziehen - „nee, soweit sind wir gottseidank nicht“. Sowas gebe es nur in den großen Knästen.
Christine Holch
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