Rosa Träume, eingemacht

Barbie's 35. – Ausstellung im Werkbund-Archiv  ■ Von Petra Brändle

Die Puppe ist eine Projektion, ein 3-D-Pin-up-Girl mit den Modellmaßen 15 x 10 x 12,4 cm, bei einer Größe von 29 cm. Multipliziert mit dem Faktor 6 (sic!) ergeben sich weibliche Rundungen, angesichts derer kaum zu glauben ist, daß sie nicht absichtsvoll gewählt wurden. Doch die Firma Mattel, die die Pop-Ikone seit nunmehr 35 Jahren produziert, beharrt auf der Anständigkeit ihrer Puppe: Mit Sex hat sie nichts zu tun, schwanger gar (wie ihr Duplikat und die Rivalin „Steffi Love“) wird sie erst recht nicht. Wie auch? Selbst beim Campen schlafen Barbie und ihr Dauerverlobter Ken in getrennten Schlafsäcken.

Das nimmt zumindest die Mattel-Pressereferentin Regina Meyer an. Neuerdings glauben auch wir das, denn Ken wurde in den USA anhand des Ringes an seiner Halskette geoutet. Damit bleibt die Blondine endgültig frei für alle Phantasien – vor allem die der Männer, denn unter den Sammlerinnen und Sammlern machen sie gut die Hälfte aus. Noch mehr sind es unter den Kreativen (Designer, Künstler, Architekten, Modedesigner, Friseure und „Unentdeckte Talente“), die auf die Bitte der Firma Mattel hin ihre Phantasien ausleben. In diesen Ergüssen kann man jetzt, anläßlich des merkwürdig ungeraden 35. Jubiläums, im Werkbund-Archiv schwelgen. Klar: Auch für Kinder ist die Glamourwelt ein Erlebnis, selbst dann, wenn bei einigen Exponaten die Barbie-Schau zur Peepshow gerät.

„Try me“ steht auf dem roten Sockel der Plastikbox, daneben lächelt verzerrt ein Mund, von innen beleuchtet. Zieht man den Kassenzettel zwischen den Zähnen dieses Mundes hervor, dreht sich im erleuchteten Tempel eine Barbie mit einem Plastikherzen auf der Brust. Eine schnarrende Stimme verspricht: „Ich bin für dich da“, während auf dem Bon postwendend Dank ausgesprochen wird. Der doppelte Warencharakter der Puppe, Barbie als kitschig sexualisiertes Playmate und doch cleanes Konsumgut, wurde von Boris Petrovsky gestaltet, der auf der Mattel-Liste als „Unentdecktes Talent“ ausgewiesen ist.

Feministische Kritik läßt sich in der Dornenkrone entdecken, auf der eine nackte Barbie mit winzigen Röschen auf den Brüsten eingeklemmt steckt (Regina Gerken, auch ein „Unentdecktes Talent“). Im Nebenzimmer dreht sich eine über und über goldbehangene Plastikpuppe mit toupiertem Haar eitel um die eigene Achse – ein Entwurf eines Juweliers und Uhrmachers. Solche Kontraste im Umgang mit der Gestaltung verdeutlichen die sehr unterschiedlichen Bilder der Barbie.

Ein großer Teil der ModedesignerInnen und FriseurInnen geht mit der Blondine (nur wenige arbeiteten mit brünetten oder schwarzhaarigen Puppen) nicht anders um als mit ihren Models in Echtgröße. Kunstvolle Frisuren und ganze Modekollektionen – von adidas über Bogner bis zu Joop! und Otto Kern – füllen die Vitrinen der Ausstellung. In ihrer Häufung sind sie so phantasielos wie ein Quellekatalog. Genauso stumpf wirken die postmodernen Wohnungseinrichtungen, z.B. von Wolfgang Laubersheimer, die so gar nicht zum süßlichem Image der Bewohnerin passen.

Eine zweite Gruppe der GestalterInnen potenziert den der Figur innewohnenden Kitsch: Barbies und Kens hängen in akrobatischer Verknüpfung, mit Kristallglas und Kerzen dekoriert, als Lüster von der Decke. Dutzende von Barbies sind in Rosen gewickelt oder sitzen auf blonden Haarteilen unter güldenen Rosenkränzen. Schrill-kitschig stehen zwei überlebensgroße Damen in Rosenkleidern an der Säule – auf den zweiten Blick erst entpuppt sich die Sonnenbrille als Versatzstück aus Barbie-Beinen, zwischen den Falten des Kleides entdeckt man weitere Barbies.

Michael Southgate, britischer Modeschöpfer für „Adel Rootstein“, hat seiner überdimensionalen Madonna eine Krone aufgesetzt. Auf dem straßbesetzten, überladen rotsamtenen Kleid sind reihum Barbies in verschiedenen Frauenrollen plaziert: Nonne, Schwangere etc. Eine dritte Gruppe, vorwiegend die der noch unentdeckten Talente, nähert sich dem Synthetik-Weibchen mit der Ästhetik eines David Lynch. Eine grausame, ekelhafte Süße modert in Frank Lindows Einmachgläsern. In trüber Suppe schwimmt die Miniatur-Sexbombe in einer Delikatessen-Kreation aus Erbsen, Fischhaut, Maiskörnchen und trockenen Muschelnudeln. Luftblasen kleben an ihrer Plastikhaut, rosa Kunststoffschweinchen, Rosen und Lilien sind verzerrt in diesem schauerlichen Küchenbord mit dem 50er-Jahre-Vorhang zu entdecken. Ein Bild, das sich ewig im Gedächtnis konservieren und beim Anblick jeder Barbie wachgerufen wird.

700 Millionen Barbies wurden weltweit verkauft. Noch immer ist sie so attraktiv wie ehemals. Selbst wenn Sindy, eine weitere Konkurrentin, nun auf den deutschen Markt kommt (was, nebenbei gesagt, die Werbekampagne Mattels erklärt), sorgen plastikchirurgische Gesichtsmodulationen und eine kindgerechte Adaption des dernier cri für einen zeitgeistigen Wandel und Absatz des Originals. Immerhin: Ein Anlaß für eine spannende Ausstellung.

Bis 6.3., Di.–So. 10–20 Uhr, Werkbund-Archiv, Martin-Gropius-Bau, Stresemannstraße 110, Kreuzberg.