Briefe, die sich lohnten

■ Parlament nimmt Bürgerbeteiligung ernst: Abgeordnete für andere Akzente bei Verkehrs-, Wohnungs- und Müllpolitik

Die 85.000 Berliner, die im vergangenen Jahr Einwände gegen den Flächennutzungsplan (FNP) erhoben haben, bekommen jetzt Unterstützung im Parlament. „Die geplante Infrastruktur im Nordosten ist zu groß dimensioniert, und die Verkehrsvorhaben werden massiv kritisiert“, sagte gestern Rudolf Kujath (SPD) nach der ersten Sitzung des Ausschusses „Flächennutzungsplan“ gegenüber der taz. Der Ausschuß wird sich in den kommenden sechs Monaten mit den Planungen zu Wohnungsbau, Gewerbeansiedlung, Straßenneubau und Grünflächen der nächsten zwanzig Jahre befassen.

Kujath betonte während der Sitzung, daß den Einwendungen zum Nordostraum – jeder dritte Brief bezog sich auf das dort geplante Müllrecycling-Zentrum und neue Verkehrstangenten – „Rechnung getragen werden muß“. Bislang ist Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) auf die Bürger- Post nur im Detail eingegangen.

Bis auf die Grünen waren sich die Abgeordneten einig, den FNP noch vor der Sommerpause im Parlament zu verabschieden. Themen wie Wohnen, Grün, Wirtschaft, Verkehr und die bezirklichen Planungen stehen auf der Tagesordnung, zu denen unter anderem Gewerkschaftsvertreter, der Mieterverein, die Grüne Liga, der Verein der Gartenfreunde und der ADAC gehört werden. Auch Landräte aus dem Umland sowie die regionalen Planungsgemeinschaften sollen zu Wort kommen.

Als potentieller Kritiker der Planungen aus dem Hause Hassemer fällt die CDU als einzige Fraktion offenbar aus. Änderungsvorschläge kamen von der Regierungsfraktion gestern jedenfalls nicht. Die FDP versuchte sich wie bereits in den vergangenen Monaten als PS-Partei zu profilieren. Ihr Vertreter Wolfgang Mleczkowski tadelte, daß „die Innenstadt zur Vorstadt“ werde und „die Vollendung der Stadtautobahn“ fehle. Gemeinsam mit der PDS drängten die Grünen auf eine Reduzierung der geplanten 100.000 Wohnungen im Nordosten von Berlin und auf weniger Straßenneubau. Die Grundlagen der Planungen hinterfragte PDS-Abgeordneter Harald Wolf. Die unterstellte Bevölkerungsentwicklung und das Wirtschaftswachstum stammten wohl aus der Zeit der „Vereinigungseuphorie“. In der Folge sei nun der FNP „so weit geschnitten“, daß Planungen nicht mehr gesteuert werden könnten.

Stadtentwicklungssenator Hassemer verteidigte sich erwartungsgemäß. Durch eine erstmals festgelegte abgestufte Planung werde die Stadt aufgebaut, bevor man sie erweitere. Die Gewerbefläche werde um 500 Hektar erweitert – die Umlandgemeinden hätten sich dagegen das Fünffache genehmigt. Mit 4.200 Hektar Grünfläche und 450 Kilometer Grünschneisen sei der Plan ein grüner FNP. Auch die Erhaltung von mehr als vier Fünfteln aller Kleingärten wertet Hassemer als Erfolg. An die Adresse der Laubenlobby, die mehr Parzellen retten will, sagte er: „Ich werde meine Haltung nicht ändern.“ Dirk Wildt