Streß bei Strass: Mitarbeiter gefeuert

■ Sozialarbeiter kämpfen um fortschrittliche Drogenarbeit für Junkies / Keine Chance für Substitutionsprogramme

Rückschritte in der Berliner Drogenszene? Progressive SozialarbeiterInnen fühlen sich von ihren Vorgesetzten unter Druck gesetzt. Die wollen verhindern, daß Junkies in größerem Umfang Ersatzdrogen erhalten und selbst dann betreut werden, wenn sie nicht in Therapie sind. Mittlerweile gab es schon eine Reihe von Kündigungen in voneinander unabhängigen Hilfsprojekten.

Jüngstes Beispiel für die Auseinandersetzung um das richtige Konzept in der Drogenarbeit ist die Entlassung von Bernd Meinke, der im Szeneladen Strass in der Yorckstraße tätig war. Im September letzten Jahres wurde der Streetworker vom Geschäftsführer des Trägervereins „Notdienst für Suchtmittelgefährdete und -abhängige e.V.“, Michael Hoffmann- Beyer, zuerst fristlos und eine Woche später ordentlich gekündigt. Hoffmann-Beyer begründete die Entlassung damit, daß Meinke in einer von ihm mit herausgegebenen Broschüre über Strass verbotenerweise Vereinsinterna veröffentlicht habe. Außerdem seien darin „diffamierende Äußerungen“ enthalten, die das Vertrauensverhältnis zwischen Notdienst e.V. und dem Strass-Mitarbeiter zerstört hätten.

Meinke klagte vor dem Arbeitsgericht auf Wiedereinstellung und bekam jetzt recht: Richter Lakies fand in der Broschüre weder Unverschämtheiten, noch sah er Betriebsgeheimnisse ausgeplaudert. Dem engagierten Sozialarbeiter hilft dieser Sieg jedoch vorerst nicht weiter. Der beklagte Verein Notdienst e.V. hat Berufung eingelegt und beharrt auf der Kündigung. Meinkes Anwalt Rainer Arendt befürchtet, daß es bis zu einem Dreivierteljahr dauert, ehe die Berufung vor dem Landesarbeitsgericht verhandelt wird. „So lange darf er nicht arbeiten.“

Hintergrund der Kündigung ist der Streit um den richtigen Ansatz bei der Hilfe für Drogenabhängige. Meinke arbeitete bei Strass mit sechs MitarbeiterInnen seit April 1990 in der Szene. Ihr Ziel: Durch Hilfe bei der Alltagsbewältigung sollten Junkies psychische Stabilität erreichen, die sie in die Lage versetzt, clean zu werden. Ersatzdrogen sollten den Abhängigen aus der Illegalität helfen. Nach Ansicht der ehemaligen Strass- Mitarbeiterin Ina Nowack vertritt jedoch Hoffmann-Beyer mit dem Vorstand von Notdienst e.V. die gegenteilige Position: „Geholfen wird nur dem, der eine Therapie macht.“ Substituionsprogramme wirkten nach Hoffmann-Beyers Ansicht suchtverlängernd und demotivierend.

Der Konflikt war bereits vorprogrammiert, als das vom Bonner Gesundheitsministerium geförderte Projekt begann. Bereits 1991 kündigten alle MitarbeiterInnen des Szeneladens, weil sie sich in ihrer Arbeit behindert sahen. „Die wollten daraus einen Kaffeeladen machen“, beschreibt Meinke die Befürchtungen der Streetworker. Mit Hilfe des damaligen Drogenbeauftragten Wolfgang Penkert wurde der Streit beigelegt. Dieses Mal scheinen die Beteiligten unversöhnlicher. Aus Solidarität mit Meinke verließen vier Kolleginnen das Strass-Team. Seit Mitte Dezember ist Strass de facto geschlossen. An zwei Tagen beraten die restlichen zwei Angestellten für zwei Stunden die Junkies. 40 bis 50 Drogenabhängige sind wieder auf sich alleine gestellt.

Michael Hoffmann-Beyer wollte sich zum Prozeß nicht äußern. Zu der Solidaritätsbekundung der ehemaligen Mitarbeiterinnen meinte er, er könne es nicht ändern, wenn diese ihre Verträge nicht verlängern würden, die Ende letzten Jahres ausgelaufen waren. Die Stellen würden jetzt möglichst schnell neu besetzt. Strass sei geöffnet, wenn auch nur bedingt. Was die Drogenarbeit beträfe, so würde er nur die Koalitionsvereinbarung umsetzen, „das heißt Substitution nur im Einzelfall“.

Auch die Landesdrogenbeauftragte Elfride Koller hat eine andere Auffassung von Drogenarbeit im Szeneladen als die Streetworker. „Die Substitution wird dort zu stark betont“, sagte sie zur taz. Strass solle sich mehr um die ärztliche Versorgung in der offenen Drogenszene kümmern.

Ähnliche Pobleme wie im Szeneladen haben MitarbeiterInnen im Wriezehaus, das vom Sozialpädagogischen Institut (SPI) getagen wird. Ende August letzten Jahres wurde zwei MitarbeiterInnen gekündigt. Sie hatten sich für Substitutionsprogramme stark gemacht. Martin Hörnle