SPD entdeckt den Dämon Haschisch

Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion droht hinter die liberalen Ansätze des Wiesbadener Parteitags zurückzufallen / Cannabis soll angeblich Psychosen auslösen  ■ Aus Bonn Hans Monath

Auch Drogenabstinenzler können beim Durchlesen des jüngsten Antrags der SPD-Fraktion zur Rauschgiftbekämpfung leicht in Verwirrungszustände gestürzt werden: Liegt ihnen tatsächlich die Meinung der Sozialdemokraten aus dem Jahr 1994 vor, oder handelt es sich bei dem Papier nicht doch um eine ältere Ausarbeitung konservativer Sicherheitspolitiker? Gerade zwei Monate ist es her, daß der SPD-Bundesparteitag in Wiesbaden neue Thesen zum Umgang mit Drogenkonsum und -abhängigen verabschiedete. Im Vergleich zur damaligen Einschätzung des Genußmittels Cannabis bedeutet das von der Arbeitsgemeinschaft Drogenpolitik der SPD-Bundestagsabgeordneten ausgearbeitete neue Papier eine komplette Kehrtwende. Am kommenden Dienstag soll ihm die SPD-Fraktion zustimmen.

Glaubt man den Autoren des Entschließungsantrags, dann ist Cannabis ein wahrer Dämon, eine gefährliche und sozial schädliche Droge: Wer sie konsumiert, ist angeblich von „Flash backs“ (Echoeffekten) und auch – bei langfristigem Gebrauch – von Psychosen bedroht. Die These von der Harmlosigkeit von Haschisch, so heißt es in dem Antrag, sei „nicht zu verantworten“.

Während sie Substitutionsprogramme für harte Drogen befürworten, mauern die Autoren konsequent gegen eine Freigabe von Cannabis. Eine Aufhebung des strafrechtlichen Verbots, so warnen sie, werde „zu einer steigenden Zahl der Betäubungsmittelabhängigen führen, die der Zahl Alkoholkranker vergleichbar wäre“. Der Parteitag hatte sich dagegen Ende November für eine legale Abgabe von Cannabisprodukten ausgeprochen. Eine Entkriminalisierung, wie sie in Holland praktiziert wird, verhindert nach Meinung von Reformern unter anderem, daß Haschischkonsumenten in der Szene fast automatisch in Kontakt mit harten Drogen kommen.

Gegen die restriktive Haltung der Bonner Arbeitsgruppe regt sich Widerstand von Parteimitgliedern, die in ihrem Arbeitsalltag praktische Erfahrung mit der Drogenproblematik sammeln. Für „abwegig“ hält der Drogenbeauftragte von Hamburg, Horst Bossong, die Einschätzung von Cannabis in dem Papier. Bossong ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe, in der die SPD-regierten Länder und die SPD-Fraktion ihre Drogenpolitik miteinander abstimmen.

Der Lübecker Strafrichter Wolfgang Neskovic versteht die Bonner Thesen gar als „Kampfansage“. Er attestierte ihren Autoren, sie lebten im „ideologischen Vorgestern“ und stützten sich auf längst widerlegte Vorurteile. Neskovic, der das Verbot von Haschischkonsum im Betäubungsmittelgesetz für grundgesetzwidrig hält und deshalb das Bundesverfassungsgericht anrief, mischte sich in seiner Eigenschaft als schleswig- holsteinischer Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (AsJ) in den Parteistreit um die Drogenpolitik ein. Zu den Adressaten seines fünfseitigen Schreibens, aus dem nicht nur Vertrautheit mit der Materie, sondern auch Enttäuschung über den Rückschlag spricht, gehört auch der Parteivorsitzende Rudolf Scharping.

Aber nicht nur in der Theorie gibt es andere Auffassungen als jene, der die Fraktion nun zustimmen soll. Längst wird von SPD-regierten Landesregierungen eine Drogenpolitik praktiziert, die weit über die restriktive Haltung des umstrittenen Papiers hinausgeht. So sind Staatsanwälte in Schleswig- Holstein angewiesen, Besitzer von Rauschmitteln nicht mehr zu verfolgen, wenn diese nicht mehr als 30 Gramm Cannabisprodukte (Haschischöl ausgenommen), 5 Gramm Kokain oder 1 Gramm Heroin mit sich führen.

Unverständlich ist Kritikern, warum die Arbeitsgruppe nun hinter die Beschlüsse von Wiesbaden zurückgehen mußte. „Dafür“, so Bossong, „gibt es keine Notwendigkeit.“ Vor Monaten schon hatten sich SPD-Länder und -Fraktion geeinigt, die Drogendiskussion aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Mit der seltsamen Vorlage aber machen sich die Sozialdemokraten selbst Probleme. So erwartet Richter Neskovic, daß eine Verabschiedung des neuen Papiers „zu erheblichen innerparteilichen Auseinandersetzungen führen wird“. Dann könnte im Superwahljahr auch ein nichtmedizinisches Argument zum Tragen kommen: Auch Haschisch-Konsumenten gehen zur Wahl. Sie haben zwar kaum eine Lobby, verfügen aber über mehrere Millionen Stimmen.