■ Kolumne: Wer hat schon fünf Talente?
Die Beatles sind schuld. Hätten es Lennon und McCartney nicht durchgesetzt, daß ein Interpret die Lieder, die er singt, auch gleich schreibt, gäbe es noch jenen Traumberuf des Songwriters. Was ja auch sinnvoll wäre, denn eigentlich ist es überhaupt nicht einzusehen, weshalb wir verlangen, daß Popstars gleich fünf außerordentliche Begabungen haben: Sie müssen singen, ein Instrument spielen, eine Bühnenpersönlichkeit haben, komponieren und dichten können. Etwas viel für einen einzelnen Menschen, oder? Eine Arbeitsteilung wäre logischer: Einer komponiert, ein anderer dichtet, noch ein anderer spielt und der letzte singt und bringt vielleicht im äußersten Glücksfall auch noch eine gewisse Ausstrahlung mit.
Früher, vor den Beatles, war das so. In jedem Musikverlag gab es eine gewisse Anzahl Büros, in denen nichts als ein Flügel stand, auf dem ein Stapel Notenpapier lag. Dort schrieben festangestellte Komponisten und Textdichter acht Stunden am Tag Songs. Heute ist das leider nur noch in den Genres Country & Western und Rhythm & Blues üblich. Dabei würde alles dafür sprechen, in anderen Stilen ebenso zu verfahren. Uns blieben all die mageren Stimmchen, die öden Melodien und Texte wie: „Baby, I can't hide/this feeling deep inside“ erspart.
Außerdem gäbe es meinen Traumberuf noch. Man muß sich ja nicht von einem blutsaugerischen Verleger anstellen lassen. Bei einer gewissen Begabung hätte man auch als Freelancer schöne Umsätze und ein noch schöneres Leben. Köstliche Vorstellung: 24 Stunden Freizeit am Tag, gelegentlich einen Song ,raushauen und auf den GEMA-Scheck warten. Das Gefühlsleben öffentlich machen, aber dabei weitgehend anonym bleiben. Dennoch tolle Frauen beeindrucken mit (wahren oder erfundenen) Sätzen wie: „Baby, dieses Lied habe ich über dich geschrieben!“
Am besten hatten es John Hartford, Fred Neil und Jerry Jeff Walker: Bei denen reichte ein einziger Song. Wer einmal ein „Gentle On My Mind“, „Everbody's Talkin“ oder „Mr. Bojangles“ schreibt, muß nie wieder arbeiten. Falls nicht windige Musikverleger oder unseriöse Verwertungsgesellschaften den noch unerfahrenen Jung-Songschreiber um die Früchte seiner Arbeit bringen. Was wahrscheinlich der Fall war, denn in dem Song „Blue Mood“ sang Jerry Jeff Walker kürzlich über Susanna Clark, die songschreibende Ehefrau seines Singer/Songwriter-Kollegen Guy Clark: „I heard they stole Susanna's money/like they stole Fred Neil's and mine.“
Und dennoch: Hartford kaufte sich kurz nach „Gentle On My Mind“ einen Schaufelraddampfer, um auf dem Mississippi zu kreuzen, und leistete sich den Luxus, auf seinen seltener werdenden weiteren Platten auf etwaiges verkaufsträchtiges „Sweetening“ völlig zu verzichten und sich nur noch selber mit Banjo und Fußgetrampel zu begleiten. Fred Neil hörte ganz mit dem Plattenmachen auf, ging nach Florida (I'm going where the weather suits my clothes“, kündigte er ja schon in „Everybody's Talkin'“ an), um die Sprache der Delphine zu erlernen, und nur Jerry Jeff machte noch einigermaßen standesgemäß mit regelmäßigen, nicht zu exzentrischen Platten weiter. Aber wie entspannt und gutgelaunt hören sich seine 70er Alben an! Da denkt man neidisch: Songwriter müßte man sein! Leider ein ausgestorbener Beruf.
Song des Monats: „Harvest Your Thoughts Of Love“ von Bert Jansch (Von „It Don't Bother Me“, 1965)
Detlef Diederichsen
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