Vegetarier-Charme

■ Am 14. Februar im Docks: Carcass, eine Legende mit Kopierschutz, besinnt sich auf seine musikalische Kindheit Heavy Metal

„Cadaveric Incubator Of Endo-Parasites“: Solch jugendlich überschwengliche Songtitel-Pathologismen gehören für Carcass inzwischen der Vergangenheit an. Jede bekuttete Provinzcombo brandmarkte sich seinerzeit zwangsläufig als stillos nachäffender und kreativ in Grasnabenhöhe operierender Grindcore-Bodensatz, wenn sie sich auch nur ansatzweise inspirieren ließ. Das Konzept Carcass besaß durch seinen in jeder Hinsicht extremen Innovationscharakter sozusagen Kopierschutz. Mit ihren leichenschauhäuslichen Betrachtungen in Wort und Bild waren sie zweifelsohne die ersten, die die metallische Vorliebe für alles, was plump und blutig ist, ad nauseam treiben und sich gleichzeitig ein künstlerisch hochwertiges Design-Konzept schaffen konnten. Auch wenn die Hüllenmotive sich von weitem eher wie ein durcheinandergeworfenes kaltes Buffet ausmachten.

Moralisch war das Programm allerdings durchweg korrekt, denn durch das nicht verheimlichte Vegetariertum und das weichlich knabenhafte Aussehen der Musiker erreichte ihre oberflächlich betrachtet als „menschenverachtend“ titulierbare Ausdrucksform einen beachtlichen Abstraktionsgrad. Legitimation durch Charme.

Das durchschlagende Konzept, das auch an Masterminds wie John Peel nicht unbemerkt vorbeiging, war aber durch seine Eigenständigkeit limitiert. Dieser Begrenzung wurde auch das Quartett sich zunehmends selbst bewußt und überdrüssig. Wie es auch bei anderen Earache-Labelkollegen der Fall war, unterzogen sich Carcass ebenso einer Rückbesinnung - vermutlich auf musikalische Kindheitserinnerungen. Hier: Heavy Metal.

Spektakulär will die gegenwärtige Carcass-Kunst (siehe auch die aktuelle CD Heartwork) nicht mehr sein. Aber: Unter den vielen Menschen, die öffentlich zugeben, Metal zu mögen, gehören Carcass ganz ohne Zweifel zu den wenigen, denen man das nicht übelnehmen kann und will. Zu wissen, daß es sie gibt, ist unerklärlicherweise beruhigend. Dafür ist man dankbar.

Jan-Christoph Wolter