Romantisches Echo ohne Mond

■ Kampnagel: Premiere von Gabriella Bußackers „Rauschen“

„Woran erkennt der Mann, daß die Frau einen Orgasmus hat“, wendet sich die junge Schauspielerin ans Publikum - weg vom eigenen Abbild, das zeitgleich und riesengroß auf dem roten Samtvorhang im Hintergrund steht. „Versuchen Sie, die Gleichzeitigkeit durch künstliche Mittel herbeizuführen - oder haben Sie etwas gegen solche Mittel?“ Die Frage wirft ihr Echo, bricht sich in den Köpfen der Zuschauer und entfährt dem einen als Kichern, der anderen als Stirnrunzeln. Und verklingt allen in Rauschen... Rauschen, so heißt der dritte Teil einer „Video-Theater-Trilogie“ von Gabriella Bußacker. Rauschen - das meint nicht das leise des mondbeglänzten Waldes, mahnt nicht des Baches an der klappernden Mühle: Bei Bußacker ist es eher der Kanal, der rauscht. Der Video- oder Tonkanal. Aber nicht nur der.

Die Schauspielerin Edith Adam betritt die Bühne, ohne Hose und etwas verwirrt, erzählt von einer „katastrophalen Generalprobe“ und daß eigentlich an dieser Stelle hätte stumm begonnen werden sollen. Bis 120 hatte sie zählen wollen, stumm, und sonst nichts getan. Und dann zählt sie, und das Publikum starrt auf den fast leeren Raum, ein Stück Theatervorhang, einen Bildschirm und das Pult mit der Regisseurin, die die technischen Mittel von dort steuert. Die Mittel, rauscht es durch unsere Köpfe. Adam grimassiert stumm Sätze, die auf den Vorhang projiziert werden. „Ich bin ein Kopfhörer“, zum Beispiel. Sie „sagt“ es, wir lesen es, dort steht es, wir denken es und...sind es? Die Verwirrung ist komplett.

Und doch ist alles ein Akt der scheinbar einfachen Wahrnehmung, der „Sinnlichkeit“, deren raumzeitlicher Einheit wir so sicher sind. Das spaltet sich, wird gestört, und was in dem schließlich deklamierten erotischen Text am Beischlaf abgehandelt wird, erscheint plötzlich als eine Metapher auf das Medium schlechthin - auf den Körper, auf den Ort: auf's Theater. Gemeint ist der Rahmen, das, was immer schon da ist, wenn gespielt wird. Der Schauspieler und das Publikum etwa: „Haben Sie etwas gegen künstliche Mittel?“

Es geht um das Rauschen als Sprache des Mittels. Und um eine Liebeserklärung an das, was wirklich unhintergehbar ist: das Theater als ganz eigenes Medium, das an das Ohr gelegt wird, um den Bedingungen seiner Existenz ihr Geheimnis abzulauschen: „Da rauscht was...“ So wie früher Wald und Mühle. Mitten in ihrer Technologie sitzt sie, Gabriella Bußacker: eine letzte Romantikerin.

Stefan Rosinski