„Es gibt in dieser Stadt keine demokratische Kultur“

■ taz-Interview mit dem noch amtierenden SPD-Chef Helmuth Frahm über das „abenteuerliche politische System“ Hamburgs Von F. Marten und U. Exner

taz: Was überwiegt nach Ihrem Rückzug, Erleichterung, es überstanden zu haben.? Oder doch der Frust über die eigene Partei?

Frahm: Nein, nein. Kein Frust, erst recht keine Resignation, wie manche Ihrer Kollegen unterstellen. Ich bin nun mal ein sehr eingefleischter Sozialdemokrat.

Aber einer, der – wie wir Ihrer Rückzugsankündigung entnehmen – über seine Funktionärskollegen reichlich verbittert ist. Der SPD-Fisch stinkt vom Kopf?

Naja, was heißt, der Fisch stinkt vom Kopf. Auch Parteitagsdelegierte sind ja erwachsene Leute.

Was hat Sie denn so genervt?

Die Art und Weise, wie in den vergangenen Wochen Personalentscheidungen getroffen wurden, war schon symptomatisch.

Sie konnten sich mit Ihren Vorschlägen für die im Februar fällige Neubesetzung des Vorstands mal wieder nicht durchsetzen.

Meine Vorschläge zur Verjüngung der Parteispitze sind in den internen Gesprächen nicht auf große Begeisterung gestoßen. Jedenfalls nicht bei den Leuten über 40. Geärgert hat mich aber auch das Verfahren an der Spitze der Bürgerschaftsfraktion und das Verfahren bei der Kür der Bundestagskandidaten.

Was paßt Ihnen denn an der Fraktionsspitze nicht? Elste, Ehlers, Kleist, das sind doch drei stattliche Männer.

Ich habe nichts gegen die drei Männer. Aber ich finde, wenn wir eine Quotierung haben, muß in jedem Gremium der Partei – in jedem Gremium! – ordentlich darüber gesprochen werden.

Sie waren bei der Wahl der drei zwar nicht stimmberechtigt, aber anwesend. Haben Sie widersprochen?

Ich habe darüber nachgedacht, ob ich das Problem vor der Fraktion selbst ansprechen soll, ob ich mich mal wieder unbeliebt machen soll. Aber ich habe mir dann gesagt: Nein, mach jetzt nicht wieder ein Faß auf. Und was passiert? Die einzige, die das Thema anspricht, ist Traute Müller. Ohne eine Reaktion zu bekommen. Diese Art politischer Kultur teile ich nicht, das finde ich nicht in Ordnung.

Also hätten die drei verzichten sollen.

Ich glaube, daß man als Mann in so einer Situation eher einen Schritt hätte zurückgehen müssen.

Was hat Sie an der Art der Postenvergabe eigentlich gewundert? Die Mechanismen in Ihrer Partei waren Ihnen doch bekannt. Und auf einmal...

...hat er's begriffen ...

...aber versucht nicht, eine neue Linie durchzusetzen, sondern tritt zurück. Hätten Sie nicht stattdessen diesen Mechanismus in der Partei zur Diskussion stellen müssen?

Das kann man doch nur machen, wenn die anderen das auch diskutieren wollen. Das hab ich intern, zum Beispiel bei der Frage von Bundestagskandiaten, rechtzeitig signalisiert.

Bei der Senatsbildung haben wir von Ihnen wenig gehört.

Auch da habe ich was gesagt. Aber ich will jetzt nicht in die Eingeweide gehen und einzelne Leute bewerten. Ich glaube, daß in der Hamburger SPD ein großer Fehler gemacht wird, in der Frage, wie man mit Staatsämtern umgeht. Das ist schon ziemlich schrecklich.

Beispiele?

Ich habe mich bei der Senatsbildung schon ab und zu gewundert, wie leichtfertig geurteilt wird. Thomas Mirow, zum Beispiel, da haben einige mal kurz erklärt, daß der verzichtbar wäre. Das find ich nicht, sondern ich finde, daß er nötig ist. Oder die Leichtigkeit, mit der einige Leute gesagt haben, Ortwin Runde ist auch ein guter Bürgermeister. Ich finde, daß wir einen ganz guten haben. Der muß nur anders beraten werden. Aber diese Fähigkeit des Sich-Nicht-Beraten-Lassens, oder die geringe Bereitschaft, sich richtig beraten zu lassen, die habe ich auch erst bei den Koalitionsverhandlungen richtig gemerkt, jetzt zum Schluß.

Aber auch hier: Hat es nicht zu Ihren Aufgaben als Parteivorsitzender gehört, diese Dinge zu thematisieren? Diese „Indianerspiele“, wie Sie es jetzt nennen: einer links, einer rechts, Qualifikation spielt kaum eine Rolle.

Die taz wird sich ihre Meinung nicht abschneiden lassen, daß ich da was versäumt habe. Aber in einer Wahlzeit, und die hatten wir ja im letzten Jahr, da geht es ja nicht zuerst um den großen parteiinternen Reformanschub, sondern darum, sich gegen die politische Konkurrenz durchzusetzen. Danach hatten wir sehr schwierige Koalitionsverhandlungen. In dieser Zeit, gleichzeitig die Partei zu reformieren! Welch ein Wahnsinnsanspruch! Das müssen Sie sich mal überlegen, was Sie da von einem Parteivorsitzenden verlangen. Er soll Amateur sein, aber das bitte absolut professionell. Das ist nicht zu machen.

Die Reform hätte ja nicht erst im letzten halben Jahr angegangen werden müssen. Nach dem Diätenskandal waren ja noch eineinhalb Jahre Zeit bis zum Neuwahl-Urteil. Verbal haben Sie damals ja auch gefordert, daß sich in den Parteiköpfen etwas bewegen müßte. Nun stellen wir mit Ihnen fest: Es hat sich aber nichts bewegt.

„Inzwischen glaube ich, daß man durch Unruhe in der Partei mehr bewegen kann als durch weiteres Zudecken.“

Am Ende wird ja zusammengezählt, und ich glaube, daß es noch eine Chance gibt, daß in der Partei begriffen wird, was gesellschaftlich los ist. Darauf setze ich nach wie vor. Meine Sicht der Dinge hat sich insofern verändert, als daß ich jetzt weiß, daß das Beharrungsvermögen bei einzelnen Leuten, das Kleben an angestammten Plätzen, sehr viel größer ist, als ich gedacht habe.

Können Sie Ihrem Nachfolger, Ihrer Nachfolgerin einen Spachtel zeigen?

Was der SPD fehlt, ist eine gemeinsame Führungsleistung. Es reicht nicht, wenn es hier und da stimmt, in diesem Kreis, in jenem Kreis oder zwischen Bürgermeister und Landesvorsitzendem, ansonsten aber die Partikularinteressen dominieren. Das habe ich lange Zeit nicht richtig eingeschätzt. Wir brauchen eine Gesamtverantwortung, daß sich zehn, zwölf Leute für die SPD als Ganzes verantwortlich fühlen.

„Es wird ein sehr munterer Parteitag, das kann ich Ihnen versprechen.“

Haben Sie selbst diesen Versuch nicht doch zu früh aufgegeben? Zwei Jahre sind keine besonders lange Zeit, wenn man eine 130 Jahre alte Partei reformieren will.

Das mag sein. Ich glaube aber, daß ich in der letzten Zeit zu oft und zu viel zugedeckt, die Probleme nicht beim Namen genannt habe. Das will ich jetzt nicht mehr. Ich glaube, daß man durch Unruhe in der Partei mehr bewegen kann als durch weiteres Zudecken.

... oder die Entwicklung verläuft genau in die entgegengesetzte Richtung: Das Alte verfestigt sich.

Auch das mag ja sein. Man sollte aber mit solchen Prophezeiungen vorsichtig sein, sie werden sonst allzu leicht zur selffulfilling prophecy. Mag ja sein, daß aus dem, was ich angestoßen habe, Essig wird. Kann aber auch sein, daß es Wein wird.

Nach außen setzt Ihr Rücktritt aber zunächst schon dieses Signal: Die SPD erstarrt, sie erneuert sich kein bißchen.

Also ich glaube, daß man unterscheiden muß zwischen dem Bild, das die Spitzengremien der Hamburger SPD derzeit abgeben, und dem, was sich auf der Bundesebene tut, was sich bei uns in vielen einzelnen Ortsvereinen tut und auch in einzelnen Kreisen. Da gibt es schon eine Veränderung. Auch bei den Jusos. Wir haben ja nicht nur junge Leute, die nach dem Scheitern der Verhandlungen mit der GAL ausgetreten sind, sondern auch solche, die sagen, jetzt erst recht.

Wir sind ja geradezu fanatisch immer auf der Suche nach Reformkräften in der SPD. Nur: wenn Sie zum Beispiel sagen Jusos – also die Jusos, die wir erleben, das sind junge Jurastudenten, die Karriere machen wollen und die überhaupt nicht wissen, was Sozialdemokratie ist.

Einzelne, nicht alle. Es gibt ganz viele, die anders sind. Die werden Sie auch erleben. Es wird ein sehr munterer Parteitag, das kann ich Ihnen versprechen.

Gab es neben den Indianerspielen noch andere Gründe, weshalb aus der von Ihnen anvisierten Reform nichts geworden ist?

Die Diätengeschichte brauche ich ja hier nicht mehr in extenso auszubreiten. Danach kam die Diskussion um den Grundgesetzartikel 16, die die SPD bundesweit furchtbar zerrissen hat. Dann der Wahlkampf, Koalitionsverhandlungen: da reformieren Sie mal noch so ganz nebenbei!

Am 19. September hat die SPD eine Wahlniederlage eingesteckt. So wenig Stimmen und Prozente wie nie zuvor hier. War das nicht eigentlich die Stunde der Partei, die Chance zur Veränderung, die von Ihnen selbst nicht genutzt worden ist.

„Weichei? Natürlich hat mich das gestört. Inzwischen ist mir die Beschreibung von anderen sowas von egal.“

Zu wenig, stimmt, ja.

Sie haben ein bißchen viel taktiert, war unser Eindruck. Ihre Befürchtung war doch, daß man bei einer Basisbefragung oder einer anderen Art der öffentlichen Diskussion keine Mehrheit für rotgrün zusammenbekommt.

So etwas hätte nur funktioniert, wenn auch die Führungsspitze intakt ist. Klar hätte man theoretisch auch einen anderen Diskussionsprozeß einleiten können. Das war in dieser Stadt, bei dieser Begleitmusik in den Medien aber in der Praxis nicht möglich.

Das „abenteuerliche politische System“ also, das Sie am Dienstag kritisiert haben.

Ich finde, das politische System ist wirklich abenteuerlich, weil es so klientelbezogen ist. Das stört mich am meisten. Diejenigen, die sich bemühen, Brücken zu bauen, sind häufig relativ isoliert. Dazu die öffentliche Begleitung – jeder Politiker hat seinen speziellen Journalisten, den er spickt. Es gibt in dieser Stadt zwar viele schöne Traditionen, aber es gibt keine guten Beispiele für eine wirkliche offene demokratische Kultur.

„Wahlkampf und Koalitionsverhandlungen - da reformieren Sie mal noch so ganz nebenbei.“

Hat sich der von Ihnen in dieser Hinsicht besonders heftig kritisierte SPD-Kreis Nord schon bei Ihnen gemeldet?

Nein. Aber ich habe natürlich mit meiner Bemerkung über den Kreis Nord ...

...Kaderpartei...

... ein paar der Leute mitten ins Herz getroffen, dahin wo's wirklich weh tut. Da erwarte ich noch Reaktionen.

Sie haben sich in den vergangenen zwei Jahren den Ruf eines Weicheis eingehandelt. Können Sie sich das erklären?

Ich hab meinen Ruf durch die Diätengeschichte mitruinieren lassen. Wenn ich da ganz früh Einhalt geboten hätte, dann hätte ich diesen Stempel nicht gehabt.

Hat Sie dieses Image gestört?

Natürlich hat mich das gestört, wenn ich so wahrgenommen werde. Aber inzwischen ist mir die Beschreibung von anderen sowas von egal. Man muß seinen eigenen Weg gehen, dann wird man ja am Ende sehen, wer die richtigen Argumente hat.

Wer soll denn Ihr Nachfolger, Ihre Nachfolgerin werden?

„Ich kann mich gut sehen lassen. Und unsere Finanzen sind im Gegensatz zu früher auch in Ordnung!“

Ich glaube, daß die Chance vielleicht vorhanden ist für junge Leute. Oder auch für einige gestandene Leute, die sich schon zurückgezogen hatten.

Was war der größte Erfolg in den zwei Jahren als Parteivorsitzender?

.....

Gibt es nicht vielleicht doch einen Punkt, weshalb man sagen kann: Es hat sich gelohnt, die Zeit war nicht verschenkt?

Gelohnt hat es sich in vielen Punkten. Es hat sich gelohnt in der Frage der Enquete-Kommission zur Parlamentsreform. Ich glaube, daß ich da sehr viel bewegt habe und daß sich noch sehr viel weiter bewegen wird. Ich glaube, daß das Ansehen der SPD, auch des noch amtierenden Vorsitzenden von außen viel größer war als von innen. Ich kann mich ganz gut sehen lassen in der Stadt. Und ich kann mich auch ganz gut sehen lassen in Bonn

.... das können nicht alle Hamburger Sozialdemokraten von sich sagen.

... ich will nicht behaupten, das ist ein großer Erfolg für mich, aber für die Hamburger SPD ist das ganz gut. Auch die Art unseres Wahlkampfs, nicht das Ergebnis, würde ich auf der Habenseite verbuchen. Und ich glaube, daß ich die SPD organisationspolitisch etwas schlagkräftiger gemacht habe. Die Finanzen sind im Gegensatz zu früher auch in Ordnung. Das ist ein solides Fundament für die Leute, die hier neu anfangen.