„Ich wollte ihn nur wegschieben“

■ Obdachloser 18jähriger muß sich wegen Mordes vor Gericht verantworten

„Ich kann nicht mehr“, sagte der Hauptangeklagte nach zwei Stunden. Das Verhör mit Dolmetscher wurde für beide Seiten anstrengend, als der Richter alles nochmal hören wollte: Wieviele Whisky, wieviele Bier hatte der 18jährige wann getrunken, bevor er am Morgen des 24. Juli 1993 einen Ghanaer mit Messerstichen tötete.

Mal hat er Hasch geraucht, mal Kokain geschnupft, schon morgens Alkohol und „Roche“ geschluckt. Der Richter kannte diese am Hauptbahnhof gehandelte Droge noch nicht: „Ist das ein Medikament?“ „Nein, eine Rauschgifttablette. Wenn Sie mir hundert Mark geben, kann ich Ihnen welches holen.“

Abdel hatte am Morgen seinen Freund in einer Containerunterkunft besucht, dafür Bier mitgebracht, sie stritten sich, trafen sich später wieder in einem Café am Hauptbahnhof. Wie es heißt, weiß er nicht. Wie viele der obdachlosen jugendlichen Flüchtlinge, die in dieser großen Stadt leben, schläft er nicht immer auf der Straße, sondern schlüpft nachts bei Freunden unter. Die Stunden dazwischen müssen auch gefüllt werden.

Ein öder Alltag, ein junger Mensch, total entwurzelt, ohne Halt, ohne feste soziale Strukturen, so stellte sich das Leben von Abdel G. vor dem Jugendgericht dar. Wann der in Algerien geborene Junge in die BRD kam, weiß er nicht. Er lebt auf der Straße, früher habe er in Langenhorn gewohnt. Wo genau, weiß er nicht: „Ich kann nicht lesen und schreiben.“

So kennt er auch die Namen der Cafés und Kneipen nicht genau, in denen er sich am Tag vor der Tat mal allein, mal mit seinem Freund Abdullah die Zeit vertrieben hat. „Nimitz“ stellt sich als „Lemitz“ heraus, eine Kneipe auf dem Kiez, in der er in den frühen Morgenstunden zusammen mit den Mitangeklagten Omar T. und Abdullah D. den Plan faßte, den Schwarzen mit dem dicken Portemonaie in der Gesäßtasche zu überfallen.

„Der konnte uns ja nicht verstehen“, erklärte Abdel dem Richter. Er weiß nicht, was der mitangeklagte Omar T. dem Ghanaer auf englisch erzählte, damit der mit der Gruppe in Richtung Dom marschierte. Wie der Schwarze dann niedergestreckt wurde, erinnert Abdel nicht gleich, „ich weiß nur, daß ich sein Portemonnaie genommen hab' und weggelaufen bin“.

Doch der Alkohol habe ihn träge gemacht, er konnte nicht schnell rennen. Bald hatte das Opfer ihn eingeholt. „Ich habe geschrien, er soll fern von mir bleiben“. Dann habe er das Messer genommen und damit nach hinten gefuchtelt - ohne hinzusehen. „Ich wollte ihn nur wegschieben.“

Die Gruppe flüchtete in einem Taxi, ließ das Opfer verletzt zurück. Nachdem die Beute von 2000 Mark aufgeteilt war, kauften sich Abdel und Abdulla erstmal neue Kleidungsstücke, weil ihre blutig waren. Dann setzten sie sich in ein Cafe und tranken wieder Alkohol. „Ich hatte keine Lust zu trinken, aber habe trotzdem weiter getrunken“, unterbrach der Angeklagte gestern die Schilderung der langen Nacht. Als er endlich müde wurde, legte er sich auf einem Platz in der Nähe des Hauptbahnhofs schlafen. Daß der Schwarze tot war, habe er erst Tage später erfahren.

Der Prozeß geht weiter, das Urteil wird am 4. März erwartet.

Kaija Kutter