Interview
: „Das knallt im Kopf noch viel leichter“

■ Was könnte man tun, was tut man in Bremen für kriminelle Kindercliquen?

Andrea Müller ist Diplom- Sozialarbeiter und arbeitet in der Jugendbildungsstätte Lidice- Haus.

Wieso stehlen diese Kinder und Jugendlichen dermaßen ausgiebig? Wegen des Kicks?

Andrea Müller Wegen dem „Kick des Abenteuers“ in einer eigentlich langweiligen Umgebung, aber auch der Besitz von Konsumgütern treibt an. Die Kinder und Jugendlichen versuchen natürlich, mit dem auszukommen, was sie haben, aber überall stehen Lockangebote und sagen „das müßt ihr haben“.

Und diejenigen, die nun auch noch ganz wenig Erfahrung mit unseren Wertmaßstäben haben wie die libanesischen Kinder, für die ist diese Abgrenzung umso schwieriger zu bewältigen. Wenn dazu noch die Kriegserfahrungen kommen, die ja außerhalb aller Wertmaßstäbe liegen, muß man sich eigentlich nicht wundern.

Rechnet man außerdem dazu, daß sie zu einer Bevölkerungsgruppe gehören, die hier im Land überhaupt nicht gern gesehen wird, verdoppeln sich die Schwierigkeiten. Das knallt im Kopf dann noch viel leichter durch, als es hier ohnehin bei Kindern und Jugendlichen in dieser Phase knallt.

Mit diesen libanesischen Jugendlichen will offenbar niemand so recht zu tun haben - der Kripobeamte ist derzeit der einzige „Sozialarbeiter“...

Da wäre zum Beispiel cliquenorientierte Arbeit nötig, die wird in Bremen ja mit rechtsorientierten Jugendlichen gemacht - aber in der Tat gibt es für ausländische Jugendcliquen sehr wenig Angebote. Im Lidice- Haus wollen wir demnächst über cliquenorientierte Arbeit diskutieren. Zum einen natürlich, weil diese Kinder und Jugendlichen massiv auffallen. Aber auch, weil sie sich in Entwicklungen befinden, die der Begleitung bedürfen. Gewährt man ihnen keine Chancen, kann das in einen Weg zu Kriminalität und Gewalt führen.

Soweit scheint es ja mit diesen libanesischen Kindern bereits zu sein: Bislang hatten sie nur Gaspistolen, letzte Woche haben sie ein Waffengeschäft leergeräumt. Müßte da nicht ganz schnell eingegriffen werden, solang sie noch ansprechbar sind?

Das Problem ist, daß man für präventive Arbeit keine Förderung bekommt, obwohl aus einer volkswirtschaftlichen Sicht natürlich präventive Arbeit sehr viel kostengünstiger wäre als erst dann einzugreifen, wenn schon alle möglichen Folgeschäden aufgetreten sind, sowohl bei den Jugendlichen selbst als auch durch das, was sie angerichtet haben.

Was könnte man diesem netten und zugleich gewalttätigen Jungen anbieten, der von jeder Schule geflogen ist - der ist doch schon fast durch mit allem?

Vielleicht wäre eine Jugendwohngemeinschaft was für ihn. In jedem Fall muß sehr sorgsam geprüft werden, welche Art sozialer Arbeit zum einen dem Jugendlichen hilft, zum anderen die von ihm ausgehenden Gefahren mildert.

Wir sind in Bremen für solch problematische Fälle ganz schlecht vorbereitet. Viele dieser ausländischen Jugendlichen, die aus Situationen wie dem Krieg im Libanon zu uns gekommen sind, müßten von Anfang an betreut werden. Aber Präventivarbeit ist sehr schwer zu finanzieren derzeit. Zumal wenn es um ausländische Jugendliche geht, wo Ausländerbetreuung in Deutschland ohnehin nicht gern gesehen ist und auch nichts kosten darf, weil das sofort politisch ausgeschlachtet wird.

Fragen: Christine Holch